Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
Vom Netzwerk:
der mit dem Kopfschuß bei Stalingrad und dem besonderen Talent für Wutanfälle. Es scheint, daß er auf dem besten Wege ist, einen solchen Wutanfall zu kriegen. Er schreit gleich los, wobei er sich sowohl an mich wie auch an Anatol wendet, uns beide zu Schiedsrichtern anrufend: Er sei ein junger Mensch, was anderen recht sei, sei ihm billig, er habe eine ganze Zeitlang keine Frau gehabt, und der Gatte der Witwe (dafür hält er Herrn Pauli, der nebenan seinen Mittagsschlaf hält) brauche ja nichts davon zu merken und zu erfahren – es sei doch gleich getan! Und er reißt die Augen auf, ballt Fäuste, schüttelt sein Haar – offenbar völlig von seinem guten Recht auf die Witwe durchdrungen, deren Brocken von Schnitterpolnisch ihm wohl im Ohr und im Gemüt geblieben sind. Er probiert es nun sogar damit, wirft ihr polnische Worte hin – alles in größter Aufregung, während die Witwe sich die rinnenden Tränen wischt.
    Anatol sieht mich an, sieht die Witwe an, will sichtlich nichts mit der Sache zu tun haben. Er meint, zu mir gewandt, das sei doch nicht so wichtig, ich solle der Witwe zureden, es sei ja schnell vorüber, sie möge sich keinen Ärger machen. Dann zu dem Polen, abwinkend: Man möge ihn gefälligst damit verschonen, er habe es eilig, müsse bald weiter... Und er macht Miene, den Sessel wieder an die Tür zu rücken. Hastig flüstre ich der Witwe ein paar Worte zu, erinnere sie an den Kopfschuß und den Wutkoller des Polen. Der Kerl ist imstande und spielt verrückt, wenn er seinen Willen nicht bekommt... Und Anatol wird bald weg sein, der wird dann nicht helfen können... Oder will die Witwe vielleicht Herrn Pauli wecken, auf daß er den Lemberger vergraule? Die Witwe winkt ab, nein, wozu? Und sie weint. Der Pole, schon wieder besänftigt, streichelt sie. Die beiden entschwinden.
    Eine Viertelstunde später rattert unten das Motorrad davon. Anatol sitzt auf dem Sozius, blickt noch einmal zur Wohnung herauf, sieht mich am Fenster und winkt lebhaft. Das Rad entschwindet rasch um die Ecke.
    Den ganzen Nachmittag hindurch sprach die Witwe nicht mit mir. Sie grollte. Erst gegen Abend lenkte sie wieder ein, erzählte... Demnach war der jugendliche Wutdeibel zahm und friedlich, ja von ermüdender Langweiligkeit, bevor er die Witwe freigab. Übrigens hat er ihr ein Kompliment hinterlassen, erst wollte sie nicht damit herausrücken, doch schließlich gab sie es uns preis:
    »Ukrainerfrau – so. Du – so.« Wobei das erste »so« durch einen Kreis aus zwei Daumen und Zeigefingern illustriert wird, das zweite »so« durch ein Kreislein aus einem Daumen und einem Zeigefinger.
    Was der Tag sonst gebracht hat? Ach ja, wieder eine Treppenbeute, wieder eine Alte, an die sechzig schon; die Jüngeren trauen sich tagsüber kaum ins Treppenhaus. Diesmal war es eine von den drei schwarzgekleideten Schneiderinnen. Die hatten gehört, daß Anatols Mannen ihre Wohnung wieder freigegeben hatten, und waren zu dritt, unter dem Beistand unseres Soldaten-Deserteurs, in die verlassenen Räume gedrungen, hatten aus Müll und Kuddelmuddel gemeinsam eine Nähmaschine herausgeholt und zwei Treppen höher geschleppt. Eine der Tanten war nochmals allein hinuntergelaufen, irgendwelches Schneiderzubehör zu bergen – und war einem Kerl in die Finger gelaufen. Die Witwe sprach gegen Abend mit ihr, da lag sie noch schluchzend auf dem Sofa in der Buchhändlerswohnung, ein ganzer jammernder Frauenhaufen drum herum.
    Auch die Jüngste von Portiers hat es inzwischen erwischt, die Mutter erzählte es mir an der Pumpe. Die ersten Tage über hatte sich die Familie, Mutter, zwei Töchter und ein dreijähriger Enkelsohn, im gutgesicherten Nachbarskeller verborgen gehalten. Als dann die Rede ging, es sei nicht mehr so arg mit den Iwans, waren die Mädels tagsüber in die Wohnung im Erdgeschoß zurückgekehrt, hatten dort gekocht und Sachen gewaschen. Bis zwei singende, stockbetrunkene Knaben sie dort überraschten. Der Ältesten, so sagt die Mutter, hat keiner was getan. Ich sah sie seitdem und kann es verstehen: Sie ist krankhaft abgemagert, hat ein Gesicht so klein und hohl, daß man förmlich die Umrisse des Schädels durchschimmern sieht. Die Jüngste hatte sich, wie die Mutter mir zuflüsterte, mit Watte verbarrikadiert, obwohl kein Anlaß vorlag; doch hatten die Mädchen gehört, daß die Iwans Frauen dann nicht möchten. Es half nichts. Unter Spaß und Gejohle haben die Kerls das Zeug in der Stube umhergeworfen und die Sechzehnjährige

Weitere Kostenlose Bücher