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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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Witwe, diesem Kerl noch was zuzustecken – der allein sei an dem ganzen Schlamassel schuld, dem könne es gar nicht dreckig genug gehen, einbuchten müsse man den, ihm die Lebensmittelkarte entziehen. (Pauli selbst war bestimmt immer dagegen, denn er hat einen Gegen-Charakter – absprechend, negierend, ein »Geist, der stets verneint«. Es gibt, soweit ich bis jetzt sehe, nichts auf Erden, dem er uneingeschränkt zustimmt.) Ja, nun will keiner mehr was von Siegismund wissen. Hier im Hause darf er sich nicht vernehmen lassen, jeder fährt ihm scharf über den Mund, keiner will mit ihm zu tun haben. Und wer in gleicher Lage ist, der hält sich erst recht zurück. Es muß wüst und wirr aussehen in diesem Mann. Auch ich hab ihn scharf abfahren lassen, was mich in diesem Augenblick ärgert. Wie komme ich dazu, alle Pöbelstimmungen mitzumachen? Immer wiederholt sich das »Hosiannah-Crucifige!«
    Vor einer halben Stunde, in der Abenddämmerung, plötzlich Schüsse. Ein ferner, schriller Frauenschrei: »Hiiilfe!« Wir haben nicht einmal aus dem Fenster geblickt. Wozu auch? Aber ganz gut sowas; es erinnert uns wieder, macht uns wachsam.
    Samstag, 12. Mai 1945
    Am Vormittag hat die ganze Hausgemeinschaft – man nennt das jetzt offiziell wieder so – gemeinsam im Hintergarten, den ich seinerzeit in meiner Phantasie schon als Friedhof eingerichtet hatte, eine Grube ausgehoben – aber nur für den Müll des Hauses, der sich zu Bergen um die Müllkästen herum türmte. Munterer Arbeitseifer, lustige Redensarten, alle fühlten sich erleichtert, freuten sich des nützlichen Tuns. Es ist so sonderbar, daß keiner mehr »ins Geschäft« gehen muß, daß jeder gewissermaßen Hausurlaub hat, daß die Ehepaare von früh bis spät zusammenstecken.
    Hernach hab ich im Wohnzimmer aufgewischt, hab Russenspucke und Stiefelwichse und den letzten Krümel Pferdemist von den Dielen gescheuert. Das gab guten Hunger. Noch haben wir Erbsen und Mehl. Die Witwe fettet mit dem Butterschmalz, das sie aus dem ranzig gewordenen Rest von Herrn Paulis Volkssturmbutter gewonnen hat.
    Die Wohnung blinkte, als unsere Gäste aus Schöneberg eintrafen. Sie hatten sich gemeinsam auf den Weg gemacht, obwohl meine Freundin Gisela die Freunde der Witwe bisher nicht gekannt hatte. Alle drei waren gewaschen, ordentlich frisiert, sauber gekleidet. Sie hatten den gleichen Weg genommen wie wir und das gleiche gesehen – kaum Menschen, nur vereinzelte Russen, sonst Öde und Stille. Es gab Kaffeelorke und für jeden drei Fettschnitten – eine üppige Bewirtung!
    Ich holte mir Gisela zum Palaver ins Wohnzimmer, wollte wissen, wie sie sich das Weiterleben denkt. Sie sieht schwarz. Ihre Welt, die abendländische, die kunst- und kulturgetränkte, die allein ihr wert ist, sieht sie nun versinken. Für einen Neubeginn fühlt sie sich seelisch zu müde. Sie glaubt nicht, daß für einen differenzierten Menschen Raum zum Atmen oder gar zu geistiger Arbeit bleibt. Nein, auf Veronal und ähnliche Giftkost hat sie keine Lust. Ausharren will sie, wenn auch ohne Mut und Freude. Sie sprach davon, daß sie »das Göttliche« in sich selber suchen, sich mit den eigenen Tiefen versöhnen wolle, von dort her Erlösung erhoffe. Sie ist unterernährt, hat tiefe Schatten unter den Augen und wird weiter hungern müssen mit den beiden jungen Mädchen, die sie aufgenommen hat – und denen sie nach meinem Gefühl noch von ihrem Eigenen zusteckt. Ihr bißchen Vorrat an Hülsenfrüchten und Haferflocken wurde ihr schon vor dem Eindringen der Russen von Deutschen aus dem Keller gestohlen. Homo homini lupus. Zum Abschied gab ich ihr zwei Zigarren mit, hab sie klammheimlich aus der Majorskiste geklaut, die Herr Pauli schon zur Hälfte leer geraucht hat. Schließlich hab ich für diese Gabe hingehalten, nicht er; mein Anteil steht mir zu. Gisela kann sich Eßbares dafür eintauschen.
    Abends ging ich noch Wasser holen. Unsere Pumpe ist ein tolles Möbel. Der Stamm abgebrochen, der Schwengel, mehrfach herausgebrochen, mit etlichen Metern Strippe und Draht kümmerlich festgezurrt. Dreie müssen immer den Aufbau stützen, während zwei pumpen. Das Kollektivwerk hat sich gut eingespielt, es wird kein Wort dabei geredet. Auf meinen beiden Eimern schwammen nachher Splitter und Späne, von der Pumpe abgespritzt. Wir mußten das Wasser durchseihen. Wieder wundre ich mich darüber, daß »die« zwar Barrikaden bauten, die zu nichts nütze sind, daß sie aber nicht im geringsten daran dachten, für die

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