Eine Frau mit Geheimnis
des Hauses, eine andere in weiter Ferne, laut genug, um sich im ganzen Garten Gehör zu verschaffen.
„Ein Jammer, dass sie nicht dieselbe Melodie spielen!“, bemerkte Alexandra, die Stirn leicht gerunzelt. „Das klingt ziemlich disharmonisch.“
„Lieben Sie die Musik?“
„O ja, aber ich spiele kein Instrument. Und meine Stimme wurde einmal mit dem Krächzen einer verkühlten Elster verglichen.“
„Wie … eh … ungewöhnlich! So einer Elster muss ich einmal zuhören. Aber ich bezweifle, dass wir diese Vögel heute Abend im Garten antreffen werden. Und dank der wetteifernden Regimentskapellen müssen wir schon genug Misstöne ertragen. Vielleicht sollten wir uns ein Plätzchen suchen, wo wir nur ein Orchester genießen können? Das würde unsere Ohren schonen.“
Zu seiner Verblüffung und Freude stimmte sie bereitwillig zu, legte ihre behandschuhte Hand vertrauensvoll auf seinen Arm und lächelte ihn an. „Welche Richtung schlagen wir ein, Dominic?“
Alex wusste, sie würde ein Risiko eingehen, wenn sie sich zu weit vom Haus entfernten. Doch die Versuchung war zu groß. Hätte sie ihn an diesem Abend zum ersten Mal gesehen, wäre sie misstrauisch gewesen. Aber sie kannte den Duke of Calder, einen Ehrenmann, über jeden Verdacht erhaben. Deshalb bezweifelte sie nicht, dass er sie wie eine Dame behandeln würde. Es sei denn, seine Leidenschaft übermannt ihn erneut …
Arm in Arm wanderten sie durch den großen Garten. Bald gelangten sie in einen Teil, wo die Wege nicht mehr so hell erleuchtet waren wie in der Nähe des Hauses und überhängende Zweige den Mondschein verdeckten. Hierher wagten sich nur wenige Gäste.
Dominic führte Alex zu einem schmalen dunklen Weg. Nach ein paar Schritten hörte sie einen leisen Schrei, gefolgt von einem nervösen Kichern und einer tiefen Männerstimme. Zur Linken des Pfades hatte sich noch ein anderes Paar von der Gästeschar entfernt. Offenbar ermutigte die Anonymität der Masken einige Leute zu Freiheiten, die sie sich unter normalen Umständen niemals erlauben würden.
Und als dieses Kichern erklang, wurde ihr plötzlich bewusst, wie man ihr eigenes Verhalten beurteilen würde. Wie die Gesellschaft darüber denken würde – und Dominic … Gewiss, sie kannte ihn gut genug, um ihm zu vertrauen. Aber er glaubte, sie wären einander eben erst begegnet. Für ihn war sie eine maskierte Frau, die zu lange mit einem Fremden getanzt hatte und jetzt allein mit ihm durch den Garten wanderte. Wie leidenschaftlich sie seine Küsse erwidert hatte … Was würde er von ihr denken?
Schweren Herzens erinnerte sie sich an ihre Kameraden, die erklärt hatten, diesen Ball würden einige exklusive Londoner Kurtisanen besuchen und sich unter die vornehmen Damen, die sie normalerweise verachteten, mischen. Würde Dominic glauben, sie wäre eine dieser hoch bezahlten Dirnen?
Von tiefer Verzweiflung erfasst, schauderte sie.
Sofort blieb er stehen. „Was bedrückt Sie denn, Alexandra?“
„Das Paar da drüben …“, platzte sie verwirrt heraus. „Was die beiden tun, schickt sich nicht. Und dass ich mit Ihnen hier draußen allein bin, gehört sich ebenso wenig.“
„Möchten Sie umkehren?“ Seine Stimme klang gepresst.
Unfähig, noch mehr zu sagen, nickte sie nur.
„Dann werden wir natürlich sofort ins Haus gehen. Aber darf ich Sie vorher auf etwas hinweisen? Seit wir uns im Garten befinden, bin ich Ihnen nicht zu nahe getreten.“
Beklommen spürte sie, wie alles Blut aus ihren Wangen wich. Nun hatte sie ihn in seiner Ehre gekränkt. Völlig grundlos …
11. KAPITEL
Als Dominic unverhohlenes Entsetzen in Alexandras Augen las, machte er sich heftige Vorwürfe.
Er hatte sie beleidigt. Gewiss, sie hatte an seinen ehrenhaften Absichten gezweifelt. Aber nicht in böser Absicht. Sie war eine Dame. In aller Unschuld hatte sie sich bereit erklärt, ihn in den Garten zu begleiten. Und jetzt hatte sie die Stimmen eines Liebespaars gehört. Da war ihr klar geworden, wie viel sie riskierte. Sie wusste nicht, wer er war und ob er ihr Vertrauen verdiente. Immerhin könnte er zu den schlimmsten Londoner Wüstlingen zählen. Und er wäre stark genug, um eine Frau zu überwältigen.
Kein Wunder, dass sie sich fürchtete …
Einige Sekunden lang stand er reglos da und betrachtete ihr Gesicht. Wie sollte er die Situation retten – wieder gutmachen, was er angerichtet hatte? So angestrengt er sich auch den Kopf zerbrach, die passenden Worte fielen ihm nicht ein.
„Verzeihen
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