Eine Frau sein ist kein Sport
ertragen.
Noch beschämter, als mir damals zumute war, kann nur mehr der lieben, alten Dame zumute gewesen sein, als sie mitten im Schönbrunner Schloßpark von hilfreichen, aber äußerst indiskreten Menschen darauf hingewiesen wurde, dass sie den zur Kostümjacke passenden Rock augenscheinlich zu Hause vergessen hatte.
Und dass sie nun unten »ziemlich ohne« dem Palmenhaus zuschritt.
Schätzen Sie doch, wie alt ich bin
Einen gewaltigen Schrecken jagen mir immer die Leute ein, die sich vor mir in Positur stellen, ein gewinnendes Lächeln um ihre Mundwinkeln zucken lassen und fragen: »Na, schätzen Sie einmal! Für wie alt halten Sie mich denn?«
Dann sage ich meistens: »Ach, wissen Sie, ich bin überhaupt nicht gut im Altereinschätzen« und tue so, als ob es mir schon schwerfiele, ein Kleinkind von einem Murmelgreis auseinanderzuhalten.
Doch die Leute, die so gern auf ihr Alter geschätzt werden wollen, sind hartnäckig. Stur fragen sie weiter und lassen nicht locker und wollen mich zwingen, etwas zu sagen, was ich gar nicht meine und glaube, denn es ist ja nicht so, dass der aktive, sonnengebräunte Mittvierziger ohne Bauch erfreut wäre, wenn ich ihn auf Mitte Vierzig oder gar auf Anfang Fünfzig einschätzte. Er will ja von mir hören, dass ich ihm höchstens, aber auch allerhöchstens, fünfunddreißig Lenze zubillige.
Mildtätig mogeln kann man natürlich. Aber Erfolg hat man damit auch nicht immer. Man schaut die Dame an, die sich unbedingt schätzen lassen will, aufmerksam schaut man sie an, am Haaransatz unter den blonden Locken sieht man schlohweißen Nachwuchs blitzen, die Fältchen am Hals sieht man auch und die mit Make-up verdeckten Tränensäcke.
Man lässt den Blick nach unten gleiten, straff ist es dort, wo das Mieder sitzt, weniger straff wabbert allerhand unter dem Kleid – dort, wo die Oberschenkel sind, und an den nackten Unterschenkeln erkennt man die typischen Male einer nicht ganz geglückten Krampfadernverödung.
Sechzig ist sie, denkt man und spricht, ohne schamrot zu werden: »Fünfzig werden Sie sein, denke ich!«
Aber das rundliche Gesicht der Dame hellt sich nicht auf. Nein, die Mundwinkel sinken, Gram trübt ihren Blick.
»Die meisten Menschen schätzen mich für jünger ein«, sagt sie pikiert und wendet sich ab. Freundin hat man da keine neue geworben!
Einzige Ausnahme auf dem Gebiet der Alterseinschätzung: Kinder und Jugendliche unter sechzehn Jahren!
Die fragen einen zwar nie, für wie alt man sie denn eigentlich halte, aber verschätzt man sich an ihnen ungefragt und gibt ihnen fälschlich ein, zwei Jährchen Lebensalter mehr, erntet man glückstrahlende Blicke.
Straßenbahnfahrt
Unlängst stieg ich in eine Straßenbahn, setzte mich auf einen freien Platz und schlug meine Zeitung auf. Mir gegenüber saß eine alte Frau. Ich schaute über den Rand der Zeitung auf die alte Frau. Ich schaute mir ihr Gesicht an. Die alte Frau, fand ich, hatte ein »gutes Gesicht«. Ich attestierte ihm: Kein leichtes Leben, aber mit viel Anstand gelebt!
Die alte Frau merkte meine Blicke über den Zeitungsrand, lächelte mir zu und sagte: »Ich war gerade im Theater. Das ›Sparschwein‹ haben sie gespielt!« Und dann erzählte sie mir schwungvoll und mit leuchtenden Augen den Inhalt des Theaterstücks.
Sie erzählte mit sehr lauter Stimme. Ich ließ die Zeitung sinken und lauschte. Die anderen Leute um uns herum jedoch erstarrten zuerst einmal.
Der dicke Herr neben mir erholte sich als erster und fragte mich leise: »Kennen S’ de Oide?« Ich schüttelte dezent den Kopf, da sagte er laut: »De Oide spinnt!« Ein Jüngling, am Fahrscheinautomaten lehnend, murmelte: »De Oide ziagt ma den Nerv!« und begab sich in die Wagenmitte.
Die alte Frau kam zur Schlussszene vom ›Sparschwein‹ und fuchtelte ein wenig – zur Unterstützung der Worte -mit den Armen.
Dabei berührte sie die Dame am Nebensitz. Diese schaute empört, stand auf und flüchtete auch in die Wagenmitte. Auf dem Fluchtweg teilte sie den anderen Fahrgästen mimisch, durch ans Hirn tippenden Zeigefinger, mit, welche Zumutung ihr gerade widerfahren war.
Die alte Frau merkte das alles nicht. Nachdem sie mir den Schlussapplaus geschildert hatte, deutete sie auf den freien Platz an ihrer Seite und rief: »Da ist noch frei, bitte!«
Es setzte sich niemand auf den freien Platz. Bis zu meinem Aussteigen blieb er leer.
Neben »Verrückte« setzt man sich nicht! Und verrückt war die Person! Was sie erzählt hatte und wie
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