Eine Frau sein ist kein Sport
letzten Hund verkommen. Wir fühlen uns auch überfordert, wenn wir einen blauen Fleck beäugen und darüber sinnieren sollen, ob für blaue Flecken bösartigere Erklärungen als die üblichen möglich sind.
Der pflegliche Umgang mit Menschen, die um ihren Leib sehr besorgt sind, ist kein leichter.
Aber für noch schwieriger halte ich den Umgang mit Menschen, die so tun, als seien sie um ihr leibliches Wohl überhaupt nicht besorgt.
Da lege ich noch lieber dreißigmal die Hand auf eine lauwarme Stirn, als dass ich mit einem Fieberthermometer hinter einem hustenden, niesenden Menschen herjage und ihn flehentlich bitte, sich das Thermometer doch endlich unter die Achsel zu schieben, und nichts als ablehnende, böse Worte höre.
Die Meinung, man könne diese Leute ja einfach in Ruhe lassen und brauche sie nicht mit Thermometer, Tee und Umschlag zu belästigen, ist eine irrige: Unter denen, die so tun, als sei ihnen ihr Körperzustand total gleichgültig, sind gar viele, die es nicht gern sehen, wenn ihrer Umgebung ihr Körperzustand genauso gleichgültig ist.
Sie sagen zwar: »Ich leg’ mich doch nicht wegen jedem Schmarrn ins Bett!« Sie wären aber tief getroffen, würde man darauf antworten: »Ja Liebling, da hast du ganz recht!«
Sie sorgen sich nicht selbst um ihr leibliches Wohl. Sie lassen sorgen! Und schlagen damit gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Sie stehen als »Held« da. Sie können sich über aufdringliche, gluckhennenhafte Pflege beschweren und entgehen trotzdem keiner liebevollen Zuwendung.
Ganz im Gegenteil.
Was der offen um seinen Leib besorgte Mensch erbitten muss, wird dem »Helden« unaufgefordert und diskret angeboten. Man weiß ja, wie schwierig er ist! Und wenn der »Held« schließlich doch mit Schnupfen und Husten und 36,9 ins Bett sinkt, tut er es ausschließlich seiner besorgten Umwelt zuliebe.
Edler kann ein Mensch wohl nicht sein!
Abschalten
Auf Zeitungs-Humorseiten und in trivialen Komödien sieht man oft den lieblosen Ehemann, der beim Essen Zeitung liest. Ihm gegenüber hockt die Frau, ob dieses Ignoranzverhaltens frustriert.
Für längst vergangene Jahrzehnte dürfte dieses Bild ein realitätsnahes gewesen sein. Auch ich erinnere mich an meine Mutter, wie sie verbittert auf den hinter der ›Arbeiter-Zeitung‹ kauenden Vater starrt. Auch mein Großvater liebte die Nachtmahl-Lektüre. Einmal stach er sich mit der Gabel in die Wange, weil er – konzentriert auf den Lokalteil – den Mund verfehlte.
Heute ist der lesende Esser Schnee von gestern. Dies nicht deshalb, weil Tischgespräche in Mode gekommen sind, sondern weil beim Nachtmahl ferngeschaut wird. Man könnte ja nun sagen, beides – lesen wie schauen – sei gleichermaßen ungut; bloß das Medium habe sich geändert. Dieser Ansicht bin ich nicht.
Erstens entzog sich der lesende Esser nur der Familie, hinderte sie aber nicht am Gespräch. Glotzt jedoch einer TV, tun sich die anderen schwer, gegen den TV-Sound anzureden.
Außerdem haben Bilder eine ungeheure Sogwirkung. Wenn der Papa zum Nachtmahl den Fernseher einschaltet und mampfend in die Röhre starrt, starren bald, egal ob sie wollen oder nicht, Mama und Kinder mit.
Das ist schon reichlich schlimm. Schlimmer ist noch, dass die meisten Leute am Nachtmahlen sind, wenn die ›Zeit im Bild‹ läuft. Und da hockt dann also ein guter Teil unserer Familien, kaut und schluckt und sieht dabei nicht nur Ministerglatzen und Grundsteinlegungen, sondern auch ineinander verkeilte Auto-wracks, zischende Granaten, Synagogen nach Terroristenbeschuß, Bomben auf Beirut und Tote diverser Rassen und Nationen.
Und während braunhäutige Babys mit grauenhaften Hungerbäuchen gezeigt werden, schiebt der Papa den Teller weg und sagt: »I kann nimma!« Anzunehmen, dem Papa sei wegen der Babys der Appetit vergangen, ist realitätsfern. Der Papa hört immer nach dem sechsten Fleischlaberl auf!
Ich weiß schon, dass es der Mensch nicht aushält, alles Leid und Elend der Welt wirklich wahrzunehmen. Das würde er kaum durchstehen. Er muss abschalten.
Aber wenn er schon abschalten muss, sollte er erst einmal den TV abschalten, bevor er sich antrainiert, mampfend anderen Menschen beim Krepieren zuzuschauen, ohne kotzen zu müssen. Es könnte sonst sein, dass er sich eines Tages nicht mehr als Mensch fühlt; und keine Ahnung hat, woher das kommt.
Beim Zirkus müsste man sein
Manchmal trifft man auf Leute, die man uneingeschränkt bewundert, weil sie so viel so gut können. Da hat
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