Eine Freundschaft im Winter
bin keine achtzehn mehr. Es hat Spaß gemacht, doch allmählich ist es an der Zeit, mein Leben weiterzuleben. Ich bin eine Singlefrau, die auf ihr medizinisches Fachwissen zurückgreifen muss und ein Mittelschichteinkommen braucht. Allerdings habe ich mich bisher noch nicht nach neuen Jobs umgeschaut.«
Er nickte. »Ich verstehe.« Ihre Antwort gewährte ihm ein biss chen Zeit, und er hatte nicht vor, auch nur eine Sekunde davon zu vergeuden. »Und heute musst du nicht arbeiten?«
»Nein, heute habe ich frei«, antwortete sie.
»Hast du Lust, ein paar Abfahrten zu machen, oder steht dir an deinen freien Tagen nicht mehr der Sinn danach?« Er war überrascht, einen Hauch von Unruhe zu verspüren, als er auf ihre Antwort wartete.
»Oh, natürlich stelle ich mich auch an meinen freien Tagen auf die Ski. Ich würde nur gern mal etwas Neues ausprobieren.«
»Ich bin dabei«, entgegnete er und versuchte, seine Erleichterung zu verbergen.
Und so traten sie weitgehend schweigend und ein wenig verunsichert die Skitour auf den Southback an.
Der Schnee war am Tag zuvor ein wenig angeschmolzen und über Nacht wieder gefroren, und durch die hoch stehende Sonne war perfekter Körnerschnee daraus geworden. Am Nach mittag wäre sicher schwerer Schneematsch zu erwarten, der Skier und Knie angriff. Sie näherten sich dem Gipfel, und ihre Stiefel brachen durch die Verharschung, als sie über eine vom Wind versiegelte Fläche stapften.
»Warum hast du als Teenager bei Howard gewohnt?«, wollte Mike wissen.
»Die Kurzversion ist, dass ich Schwierigkeiten in der Schule hatte. Und Onkel Howard hatte festgestellt, dass mir der Glaube meiner Eltern zu schaffen machte, also überredete er die beiden, mich bei ihm wohnen zu lassen.«
»Der Glaube deiner Eltern?«, fragte Mike.
»Sie sind Mormonen. Es ist schwer zu erklären. Selbst heute noch macht es mich verrückt. Sie glauben, dass ich nicht in denselben Himmel komme wie sie. Es ist einfach ein bisschen zu viel, wenn die eigene Seele ständig infrage gestellt wird – vor allem nach einem Schicksalsschlag, wenn man sowieso hadert und nach dem Warum fragt. Warum ich? Du weißt schon …«
»Ich sehe das alles ziemlich pragmatisch. Wir treffen Ent scheidungen, und dann ereignet sich in der Folge eine Kette von Dingen. Wir steigen zum Beispiel bei Schneefall ins Auto und geraten auf dem Eis ins Schleudern. Wir braten einen Truthahn, und weil das Fett ins Feuer spritzt, brennt die Hütte nieder. Ich heirate und habe ein Kind, dann stirbt meine Frau, und jetzt bin ich ein alleinerziehender Vater. Es ist eine Art Karma – nur ohne die Denkweise, dass man verdient, was man bekommt.«
»Diese Denkweise hasse ich! Nur wenige Menschen bekommen, was sie verdient haben. Und überhaupt widert mich der Gedanke an, dass jemand das Unglück eines anderen wertet und bei sich denkt, dass derjenige es genau so verdient hat.«
»Und deshalb werde ich, Mike Jones, die Kirche der sich in Folge ereignenden Dinge ins Leben rufen.«
»Interessante Idee«, sagte sie.
»Die Dinge müssen nicht mal immer schlecht sein«, fuhr er fort. »Ich stehe zum Beispiel im Sanitätsraum und äußere mein Vorhaben, ein neues Kindermädchen zu finden, und dann trittst du in unser Leben, und wir werden Freunde.«
Jill lächelte. »Es ist schön, wenn auch Gutes passiert.«
Mike blickte auf die schneebedeckten Gipfel vor ihnen. »Es ist egoistisch, aber ich wünschte mir, du würdest hierbleiben.«
»Na ja, das ist ja nur bedingt egoistisch. Du wünschst es dir wahrscheinlich für Cassie«, erwiderte sie.
»Mir ist einfach in letzter Zeit aufgefallen, dass die Momente, in denen ich eine Ahnung davon bekommen habe, dass mein Leben nicht nur in Ordnung, sondern sogar wieder glücklich sein könnte, Momente waren, in denen du bei uns warst.«
Jill sah ihn an. »Das alles ist erst acht Monate her. Es ist zu früh für eine neue Beziehung, vor allem für Cassie. Gestern wollte Mauricio wissen, ob ich ihre Mutter wäre – du hättest den entschiedenen Ton ihrer Stimme hören sollen, als sie seine falsche Annahme richtiggestellt hat.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht mein Leben damit verbringen, auf etwas zu warten, das vielleicht niemals passieren wird.«
»Ich habe nicht von einer Beziehung oder so etwas gesprochen«, entgegnete Mike. Plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen – als hätte Jill ihn darauf angesprochen, dass er Kate betrügen würde. »Ich meinte nur, dass ich gern mit dir zusammen
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