Eine Freundschaft im Winter
Was auch immer dieser Grund ist, bitte führe mich, damit ich ihn erfülle. Bitte fülle mich so aus, dass all die negativen Gefühle in mir schwinden, wie die Sonne den Schnee schmelzen lässt. Reiß all die negativen Gefühle aus mir heraus, damit so viel Platz wie möglich für dich in mir ist. Fülle mich aus, lieber Gott, bis ich überquelle und alle um mich herum mit dir überströme.
In den folgenden Jahren sollte Cassie das Gebet noch oft lesen, und jedes Mal sollte es etwas anderes für sie bedeuten. Aber an diesem Tag sprang das Wort »weiterleben« sie an. Und es bekräftigte sie darin, dass es in Ordnung war, einfach nur das zu tun.
Tom kam in die »Bronchitis-Baracke«, um Jason zum Duell her auszufordern. Wer im Besitz des »Bohrers« war, konnte jeden Kollegen zur gemeinsamen Skiabfahrt beordern und auch die Piste aussuchen. Nur so konnte man die Kette wieder loswerden. Doch für Tom steckte mehr dahinter als ein simples Kräftemessen. Er vermisste seinen besten Freund.
Jason sagte, seine Wut befände sich gerade auf Stufe fünf – und die Skala ging nur bis fünf. Irgendjemand hatte sich einen Scherz daraus gemacht, ein riesiges bebildertes und mit Preisen versehenes Snackbar-Schild anzufertigen, es mit einer großzügigen Portion Bauschaum zu verzieren und dann draußen an der »Bronchitis-Baracke« zu befestigen.
Als Tom das Schild sah, konnte er nicht mehr aufhören zu lachen.
»Bist du dafür verantwortlich?«, fragte Jason mit vorwurfsvoller Stimme.
»Oh, ich wünschte, ich wäre auf die Idee gekommen. Das ist großartig!«
»Sie haben Sternschrauben benutzt, sodass ich es nicht runterkriege. Den ganzen Tag über beschimpfen mich Touristen, weil ich ihnen keine Snickers verkaufe.«
»Und jetzt werde ich dir zeigen, warum ich der Kopf der ganzen Truppe bin«, sagte Tom und schrieb Geschlossen auf ein Schild. Da hörte er ein Rascheln und Kratzen in der Wand. »Wie geht’s der Ratte?«, fragte er.
»Rogers Ausscheidungen in den Wänden sorgen dafür, dass die Baracke in diesem Jahr sehr viel wärmer und besser isoliert ist«, erwiderte Jason.
Tom klebte den »Geschlossen«-Hinweis über das Snackbar- Schild. »Voilà. Problem gelöst.«
Jason applaudierte. »Sehr gut gemacht, Tom. Sehr gut.«
»Und jetzt fordere ich dich heraus, mit mir den Waterfall hinunterzufahren, damit ich das hier endlich loswerde.« Tom griff in seine Jacke und zog die Kette mit dem Korkenzieheranhänger heraus.
»Tom, ich kann es mir nicht leisten, allen Kollegen Drinks zu spendieren. Ich muss das Geld für die Ausbildung von meinem Junior anlegen«, entgegnete Jason.
»Tja, dann können wir nur hoffen, dass du nicht stürzt.«
Jason schloss die Tür hinter sich und folgte Tom zu der unglaublich steilen Abfahrt. Den Regeln entsprechend, startete Jason als Erster. Er fuhr sehr enge, geschickte Schwünge. Einzelne große Felsbrocken, die aus dem gefrorenen Wasserfall herausragten, waren mit aufgehäuftem Schnee bedeckt. Jason nahm diese Felsen auf seinem Weg nach unten wie Treppenstufen, von denen er sich abstieß. Tom beobachtete von oben, ob Jason stürzte, aber zu seiner grenzenlosen Enttäuschung fuhr er die Strecke fehlerlos hinunter.
Dann schob sich Tom über den Grat und trat denselben Weg nach unten an. Kurz vor Ende der Abfahrt streifte er einen Felsen, der ihn abrupt abbremste, und verlor das Gleichgewicht. Er fiel kopfüber in den Schnee, rollte sich jedoch ab und brachte seine Skier wieder in Position. Durch den Schwung gelang es ihm, sich aufzurichten und weiterzufahren. Als er bei Jason ankam, schüttelte er missbilligend den Kopf. Sie fuhren zum Skilift und nahmen die abgesperrte Extraspur, die für die Mitarbeiter der Bergwacht reserviert war. So konnten sie die wartenden Skifahrer überholen und gleich auf den nächsten Sessel aufspringen.
»Wie geht es den Ladys?«, erkundigte sich Jason.
»Keine Ahnung«, erwiderte Tom.
Jason zog eine Augenbraue hoch und musterte seinen Freund von der Seite. »Da läuft was zwischen Lisa und dir.«
»Wie kommst du darauf?«
»Es war unvermeidlich. Es ist vernünftig. Und mir ist aufgefallen, dass du nicht mehr auf die Vorwürfe reagiert hast.«
»Stimmt, das habe ich nicht«, sagte Tom.
»Ich verstehe – sie hat dich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Julie hat das auch von mir verlangt. Tja, du wirst sie fragen müssen, ob sie dich heiraten will.«
»Was?«
»Julie wollte unsere Beziehung erst nach einem Heiratsantrag öffentlich machen. Sie
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