Eine für alle
bloß wüsste«, sagte ich langsam. »Ich habe überhaupt keinen Anhaltspunkt. Ich selber habe nach bestimmten Papieren gesucht - Mitch Kruger bewahrte sie in der Pension auf, in der er gewohnt hat. Aber Mrs. Polter sagt, am nächsten Tag ist sein Sohn aufgetaucht und hat sie mitgenommen. Jeder, der mit ihr gesprochen hat, weiß, dass ich die Papiere nicht habe.«
Natürlich hatte ich auch bei Mrs. Frizell nach Papieren gesucht, und Todd und Chrissie wussten nicht, ob ich sie gefunden hatte. Sie hätten leicht herausfinden können, dass ich fort war - aber hätten sie den Unternehmungsgeist gehabt, bei mir einzubrechen? »Irgendwelche Erkenntnisse über die Leiter?«, fragte ich.
»Vermutlich neu. Sieht nicht so aus, als ob sie schon oft benutzt worden wäre.« Er trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse auf den Boden. »Ich habe einen Streifenwagen angefordert, der regelmäßig hier vorbeifährt. Bloß um sicherzustellen, dass Ihre Besucher nicht wiederkommen.«
»Danke.« Ich zögerte, wählte die Worte sorgfältig. »Ich weiß das zu schätzen - wirklich. Und auch, dass Sie die Nacht über hiergeblieben sind - ich habe geschlafen wie tot. Dennoch glaube ich nicht, dass ich einen Leibwächter brauche. Wenn der Tag kommt, an dem ich nicht mehr selbst auf mich aufpassen kann, gehe ich nach Michigan in Pension.« Licht glitzerte auf seinem goldenen Vorderzahn. »Vermutlich mag ich Sie deshalb, Ms. W. Weil Sie so stur sind. Ich sehe einfach liebend gern, wie Sie anderen Leuten auf die Nerven gehen.«
»Letzte Woche bei Lotty schien Ihnen das aber nicht besonders gut zu gefallen.« »Ich hab von den Nerven anderer Leute geredet, Warshawski, nicht von meinen.« Wider Willen musste ich lachen. »Ist das Ihr Hobby?«
»Ja, aber in letzter Zeit hatte ich nicht viel Gelegenheit, es auszuüben.«
Ich stellte meine Kaffeetasse auf den Nachttisch und streckte den Arm nach ihm aus. Meine Muskeln fühlten sich plötzlich nicht mehr so schwerfällig an wie noch vor zehn Minuten.
»Hab schon gedacht, du fragst mich nie, Ms. W.« Er beugte sich über das Bett und fuhr mit kräftigen Fingern unter mein Sweatshirt. »Das wünsche ich mir schon seit drei Jahren.«
»Ich hab dich nie für schüchtern gehalten, Sergeant.« Ich verfolgte die lange Linie einer Narbe, die über seinen Oberkörper bis zum Rücken ging. »Du hast doch keine Frau oder Freundin, über die ich Bescheid wissen sollte, oder? Ich hab gedacht, du bist viel mit Tessa Reynolds zusammen.« Tessa war eine Bildhauerin, die wir beide kannten.
Conrad verzog das Gesicht. »Das ist eine Weile her. Sie brauchte nach Malcolms Tod eine Schulter zum Anlehnen, und meine war gerade zur Hand. Ich weiß auch nicht - vielleicht hat ein Cop nicht genug Klasse für eine Künstlerin. Und du? Was ist mit dir und dem Jungen von der Zeitung, den ich hin und wieder mit dir sehe?«
»Murray Ryerson? In letzter Zeit reden wir kaum noch miteinander. Nein. Es gibt ein paar Männer, mit denen ich mich treffe - aber nichts Ernstes.«
»Okay. Ms. W. Klingt von mir aus okay.«
Wir kamen uns näher und küssten uns. Eine Zeitlang sagten wir nicht viel. Ich streckte den Arm aus und tastete in meinem Nachttisch nach dem Pessar. Danach schlief ich in Rawlings' Armen ein. Meine Träume müssen mich immer noch verfolgt haben, denn plötzlich brach es aus mir heraus: »Du bist nicht der Buddha, weißt du.« »Stimmt, Ms. W. Hat mir schon mal jemand gesagt.«
Seine Hand, die mein Haar streichelte, war das Letzte, woran ich mich eine Zeitlang erinnerte. Als ich wieder aufwachte, war es kurz vor zwei. Rawlings war gegangen, aber er hatte neben der Kaffeekanne eine Nachricht hinterlassen, die erklärte, er müsse zur Arbeit. »Ich habe Deine Ersatzschlüssel dem alten Mann gegeben, hab also keine Angst, dass ich wieder ungebeten vorbeikomme. Ein Streifenwagen kommt regelmäßig vorbei und hält Ausschau nach dem Subaru, von dem Du gesprochen hast. Lass Dich nicht auf Auseinandersetzungen mit Banden ein, ohne mich vorher anzurufen. PS.: Wie wär's morgen mit einem gemeinsamen Abendessen?«
Ich ertappte mich dabei, dass ich leise Mozart pfiff, als ich mich anzog. Das Scarlett-O'Hara-Syndrom. Rhett kommt, bleibt über Nacht, und plötzlich singt man und ist wieder glücklich. Ich zog mir im Spiegel eine Grimasse, aber der Gedanke dämpfte meine Stimmung nicht so, wie er es vielleicht hätte tun sollen. Natürlich sollte sich eine Privatermittlerin im Prinzip nicht mit den Cops einlassen.
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