Eine für vier 01 - Eine für vier
auch wenn du es nicht bist. Ich liebe alles an dieser Reise, bis auf unsere Trennung und das Wissen, dass du traurig darüber bist, zu Hause bleiben zu müssen. Es kommt mir nicht richtig vor, so glücklich zu sein, wo ich das doch weiß. Ohne euch komme ich mir ganz komisch vor. Ohne dich, ohne dass du hier bist und einfach nur Tibby bist. Ich bin jetzt selbst ein bisschen Tibby – aber im Vergleich zu dir krieg ich das nicht so gut hin.
Unendlich viele Grüße und Küsse,
Deine Carma
Kannst du dich dazu zwingen,
einen anderen zu lieben?
Kannst du andere dazu zwingen, dich zu lieben? Lena Kaligaris
Das Erste war schon mal die Haustür. Sie war in einem knalligen Eidottergelb gestrichen. Die Fassade drum herum erstrahlte in dem leuchtendsten Blau, das nur denkbar war. Wer konnte sich ein solches Blau überhaupt vorstellen? Lena hob das Gesicht zum wolkenlosen Nachmittagshimmel empor. Ach so.
Würde man in Bethesda ein Haus in diesen Farben streichen, wäre man als drogenabhängig abgestempelt. Die Nachbarn würden einen verklagen. Sie würden nachts mit Sprühdosen anrücken und die Farben mit Beige abdecken. Hier leuchteten vor dem Hintergrund der weiß getünchten Mauern überall bunte Farben hervor.
»Lena, mach schon!«, jammerte Effie und schob Lenas Koffer mit dem Fuß weiter.
»Willkommen, ihr Mädchen. Willkommen daheim!«, sagte Grandma und klatschte in die Hände.
Ihr Großvater steckte den Schlüssel ins Schloss und machte die sonnengelbe Tür weit auf.
Die Verbindung von Jet-Lag, Sonne und diesen seltsamen alten Leuten löste in Lena ein Gefühl aus, als würde sie stolpern und fallen - natürlich nur im übertragenen Sinn. Es war noch nie vorgekommen, dass etwas sie zu Fall gebracht hätte, außer vielleicht einmal eine verdorbene Krabbe im China-Restaurant.
Während Lena ganz starr und wie benommen war, hatte Effie ohne Schlaf einfach nur miese Laune. Lena konnte sich bei ihrer jüngeren Schwester sonst immer darauf verlassen, dass sie das Quasseln übernahm, aber selbst dafür war Effie jetzt zu schlecht gelaunt. Daher war die Fahrt vom kleinen Insel-Flugplatz größtenteils schweigend verlaufen. Nur Grandma drehte sich dauernd vom Beifahrersitz ihres alten Fiats zu ihnen um und sagte: »Schaut euch nur diese Mädchen an! Ach, Lena, du bist eine Schönheit!«
Lena wünschte sich sehnlichst, sie würde damit aufhören. Mit der Zeit ging ihr das auf die Nerven - und wie sollte sich Effie mit ihrer schlechten Laune dabei fühlen?
Grandma hatte jahrelang ein Touristen-Restaurant geleitet und sprach deshalb gut Englisch. Aber Bapis Englisch hatte offenbar nicht in gleicher Weise davon profitiert. Lena wusste, dass Grandma die allseits beliebte Gastgeberin gewesen war, die das Restaurant nach außen hin vertrat und alle damit entzückte, dass sie ihre Zuneigung wie eine Flutwelle über sie ausgoss. Bapi hielt sich meistens im Hintergrund. Zuerst kochte er
und später wurde er der Geschäftsführer.
Lena schämte sich dafür, dass sie kein Griechisch sprach. Laut Aussage ihrer Eltern hatte sie als Kleinkind zuerst Griechisch gesprochen, aber als sie zur Schule kam, hatte sie das allmählich abgelegt. Bei Effie hatten sich die Eltern gar nicht mehr die Mühe gemacht, ihr Griechisch beizubringen. Schon das Alphabet war völlig anders - du lieber Himmel! Jetzt wollte Lena, sie könnte Griechisch, aber das war ungefähr so, wie sie sich wünschte, dass sie größer wäre und singen könnte wie Sarah McLachlan. Sie wünschte es sich, rechnete aber nicht damit, dass der Wunsch in Erfüllung ging.
»Grandma, ich finde eure Tür so toll«, stieß Lena hervor, als sie ins Haus gingen. Drinnen war es im Vergleich zu draußen so dunkel, dass Lena das Gefühl bekam, sie würde gleich in Ohnmacht fallen. Zuerst sah sie nur wirbelnde Sonnenflecken vor sich.
»Da sind wir!«, rief Grandma und klatschte wieder in die Hände.
Bapi kam schwankend hinterher, die Schultern mit zwei Seesäcken und Effies flauschigem, neon-grünem Rucksack beladen. Das sah süß aus und zugleich auch deprimierend.
Grandma schloss Lena in die Arme und drückte sie ganz fest. Lena freute sich darüber, aber nur an der Oberfläche. Gleich darunter fühlte sie sich unbehaglich. Sie wusste nicht so recht, wie sie die Umarmung erwidern sollte.
Das Haus rückte in ihren Blickwinkel. Es war größer, als sie erwartet hatte, mit einem Kachelboden und hübschen kleinen Teppichen.
»Kommt mit, Mädchen«, befahl Grandma.
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