Eine für vier 01 - Eine für vier
abscheulich, aber an der farblosen, kurvenlosen Krista kam es bestmöglich zur Geltung.
Jetzt war Carmen an der Reihe. Obwohl sie unsichtbar war, kostete es sie große Überwindung, in haargenau das gleiche Gegenstück zu schlüpfen. Es war schrecklich und demütigend, das steife, glänzende, viel zu enge Kleid über ihre feuchte Haut zu ziehen. Sie konnte niemanden dabei ansehen. Sie konnte sich nicht im Spiegel betrachten. Der Anblick sollte nicht für den Rest ihres Lebens in ihrer Erinnerung haften.
Barbara musterte sie mit kritischem Blick. »Ach du meine Güte. Also, daran ist noch allerhand zu machen.« Sie ging geradewegs zu Carmens Hüften und riss die gehefteten Säume auf. »Ja, hier müssen wir noch eine Menge auslassen. Ich weiß gar nicht, ob ich genügend Stoff dafür habe. Ich seh gleich nach, wenn ich wieder im Atelier bin.«
Du bist eine widerliche Hexe, dachte Carmen.
Sie wusste, dass sie in dem Kleid absolut grässlich aussah, teils wie eine Hure von der Bourbon Street in New Orleans und teils wie ein Schaustück auf einer lateinamerikanischen Erstkommunionsfeier.
Barbara sah sich den Stoff an, der sich schamlos über Carmens Brust spannte. »Hier müssen wir auch noch einiges auslassen«, sagte sie und trat näher an sie heran.
Daraufhin verschränkte Carmen sofort die Arme vor der Brust. Bleib weg von meinen Brüsten , befahl sie stumm.
Barbara wandte sich so bestürzt zu Lydia um, als wäre es Carmens Schuld, dass das blöde Kleid nicht passte. »Ich fürchte, dass ich hier noch mal ganz von vorn anfangen muss.«
»Wir hätten Ihnen Carmens Maße schon früher durchgeben sollen«, gab Lydia verlegen zu. »Aber Albert wollte warten, bis sie hier ist, und ihr erst dann sagen, dass...« Sie brach ab, weil sie merkte, dass sie gefährlich spannungsgeladenen Boden betrat.
»Normalerweise klappt es mit einem ungefähren Prototyp als Grundlage, von dem aus man dann weitermachen kann«, sagte Barbara und schob die Schuld damit wieder Carmen und ihrem Hintern zu.
»Carmen muss jetzt gehen«, teilte Carmen Barbara mit. In ihrer Brust schwoll Zorn auf, drückte ihr Herz zusammen und stieg ihr die Kehle hoch. Ihr hitziges Temperament hielt Barbara keine Sekunde länger aus.
»Ich hasse dieses Haus«, schmetterte Carmen der verwirrten Lydia zum Abschied noch zu. »Und du solltest lieber lange Ärmel tragen.« Sie stürmte aus dem Zimmer.
Zu ihrer Überraschung war Paul im Flur. »Du löst in anderen Menschen Feindseligkeit aus«, murmelte er Carmen zu, als sie an ihm vorbeisaüste. Die vier Silben in Feindseligkei t erstaunten sie ebenso sehr wie der Inhalt seiner Aussage.
Das hast du dir bloß eingebildet , hielt sie sich selbst vor und beschleunigte ihr Tempo.
»Tolle Jeans«, sagte Bailey, als sie zur gewohnten Zeit bei Wallman’s auftauchte. Tibby rechnete inzwischen schon damit und machte sich gar nicht mehr die Mühe, darüber zu klagen.
Tibby richtete sich von dem niedrigen Regalfach auf, in dem sie Preisschildchen an Buntstiftschachteln geheftet hatte. Mit unverhohlenem Stolz schaute sie an der Jeans hinunter.
»Das ist die Jeans«, erklärte Tibby. »Sie ist gestern angekommen.«
Sie hatte das Päckchen mit den farbenfrohen, irgendwie unecht wirkenden Briefmarken gleich aufgerissen und die Jeans fest an sich gedrückt. Das gab ihr ein Gefühl, als hielte sie einen Teil von Lena in den Armen und atmete den Duft von Griechenland ein, der - so stellte sie sich das zumindest vor – in den Stoff eingedrungen war. Die Jeans roch tatsächlich leicht nach Olivenöl - das bildete sie sich nicht nur ein. Und am rechten Hosenbein war weiter oben, zum Oberschenkel hin, ein bräunlicher Fleck, der wohl vom Blut von Lenas Großvater stammte.
Bailey riss die Augen ganz weit auf und machte ein ehrfürchtiges Gesicht. »Sie steht dir fantastisch«, sagte sie atemlos.
»Du solltest sie nur mal an meinen Freundinnen sehen«, sagte Tibby. Immer häufiger wollte Bailey Geschichten von Tibbys Freundinnen hören und die neuesten Nachrichten aus ihren Briefen erfahren. Und immer mehr beschlich Tibby das Gefühl, dass sie für sich und Bailey eine Außenwelt erfand.
»Ist schon etwas in ihr passiert?«, fragte Bailey. Sie war voll und ganz bereit, an die Zauberkraft der Jeans zu glauben.
»Also, halb in ihr und halb ohne sie. Ein Junge hat Lena nackt gesehen und ihr Großvater wollte ihn dafür niederboxen.« Bei dieser Vorstellung konnte sich Tibby ein Lächeln nicht verkneifen. »Du kennst Lena
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