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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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jahrhundertealte und wechselhafte Geschichte der Kathedrale.
    Aber nicht ein Wort über den Fall. Nicht ein Wort über Polizeiarbeit überhaupt; Barbarotti dachte, dass es immer so sein müsste. Den Job in dem Moment wegschließen, in dem man die Tür zu seinem Dienstzimmer hinter sich schloss.
    So müsste er handeln, genauer gesagt, wenn er seine geistige Gesundheit behalten wollte und wenn Marianne es ertragen sollte, mit ihm zu leben. Nicht wie er im Augenblick funktionierte – und nicht wie Astor Nilsson, der offensichtlich nicht einmal nachts mehr schlafen konnte.
    Sich ganz einfach auch für andere Sachen interessieren. Sich ein Leben schaffen, wie es in den Jugendsendungen im Fernsehen hieß.
    Leicht gesagt. Sehr wahrscheinlich schwerer getan. Als er in sein Hotelzimmer kam – das übrigens nur fünf Minuten zu Fuß vom Place Beurre entfernt lag –, packte er seine Tasche aus und schob einen Finger in die Bibel.
    Es war das erste Mal überhaupt, dass er sie mit auf eine Reise genommen hatte.
    Die Sprüche Salomons. Er fühlte eine kurze Dankbarkeit, dass er den verdorbenen Augen entronnen war.
    20,5 Das Vorhaben im Herzen eines Mannes ist wie ein tiefes Wasser; aber ein kluger Mann kann es schöpfen.
    Ja?, dachte Barbarotti. Und auf wen ist das hier gemünzt? Auf wessen Pläne bezieht sich das? Auf meine eigenen oder die eines anderen?
    Er saß auf der Bettkante und versuchte eine Weile, die Worte abzuwägen, aber der Bezug auf die Ermittlungen erschien ihm so deutlich, dass er beschloss, die Gedanken fallen zu lassen. Genau das hatte er doch von Leblanc gelernt. Stattdessen nahm er das Telefon. Es war zwar schon nach elf, aber im Krieg und in der Liebe war alles erlaubt.
    »Hallo«, sagte er. »Habe ich dich geweckt?«
    »Nein«, antwortete Marianne. »Ich bin noch gar nicht im Bett. Jenny ist in eine neue Klasse gekommen und brauchte ein wenig Aufmunterung, das hat eine Weile gedauert.«
    Ach so, ja, dachte Barbarotti. Schuljahresanfang.
    »Und was machst du? Du hast doch hoffentlich deine Meinung wegen Freitag nicht geändert?«
    »Keine Sorge«, versicherte Barbarotti. »Aber ich bin in Frankreich.«
    »In Frankreich?«
    »Ja, ich suche einen guten Wein zum Hummer.«
    »Was?«, fragte Marianne.
    »Ich mache nur Spaß«, sagte Barbarotti. »Ich bin dienstlich hier. Wir glauben, wir sind ihm jetzt auf der Spur.«
    »Ja, ich habe heute die Zeitungen gelesen«, sagte Marianne. »Und den Bericht im Fernsehen gesehen, da sind bestimmt viele Tipps bei euch eingegangen. Ist das … ist das der Mörder, der eingekreiste Mann auf dem Bild?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Barbarotti, und er registrierte, dass er nicht einmal das Gefühl hatte zu lügen, als er das sagte. »Nein, ich weiß es wirklich nicht, es ist ein wenig kompliziert. Auf jeden Fall wollte ich dir Gute Nacht sagen und die Gelegenheit nutzen, dir zu sagen, dass ich dich liebe.«
    »Danke«, sagte Marianne. »Das ist lieb von dir. Ich freue mich drauf, dich am Freitag zu sehen. Sieh nur zu, dass du nicht da unten bleibst, wir haben wichtige Dinge zu besprechen.«
    »Ich werde dich mit Rosen, Milch und Honig empfangen«, versicherte Barbarotti. »Und Wein, wie gesagt. Aber du darfst mir gern Glück hier bei der Arbeit wünschen, wenn du willst.«
    »Viel Glück, mein Geliebter«, sagte Marianne. »Pass auf dich auf und schlaf gut, du auch.«
    Doch das tat er nicht. Allen guten Vorsätzen zum Trotz. Sobald er das Licht löschte, füllte sich sein Kopf mit Gedanken zu dem, was während des nachmittäglichen Gesprächs mit Commissaire Leblanc zu Tage ge
    treten war.
    Nie vermisst gemeldet? Was zum Teufel bedeutete das?
    Und diese Spekulationen dahingehend, dass das Mädchen und seine Großmutter auf einer Art nicht offiziellem Campingplatz gewohnt haben könnten. Wie glaubwürdig war das eigentlich?
    Und wie glaubwürdig war dieses Mädchen Troaë überhaupt? Diese Idee, die ihm gekommen war, dass sie eine kleine Mythomanin war, hatte zweifellos im Laufe des Tages neue Nahrung bekommen.
    Und das Mousterlin-Dokument überhaupt? Was für einen Sinn machte es, es zu schreiben? Und es sie lesen zu lassen? War das nicht das Grundproblem an sich? Die Frage, auf die er als Allererstes eine Antwort zu finden versuchen musste? In dem Gewimmel all der anderen Fragen.
    Das Vorhaben im Herzen eines Mannes, mit anderen Worten.
    Inspektor Barbarotti seufzte, und plötzlich fiel ihm ein, was Axel Wallman behauptet hatte, als sie zusammen in Lund wohnten. Dass der

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