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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Unterschied zwischen dem Nobelpreisträger und dem lallenden, sabbernden Idioten gar nicht so groß war, wenn man alles betrachtete – da dem Erstgenannten wahrscheinlich geglückt war, ungefähr ein Prozent allen möglichen Wissens zu erlangen, während der Idiot bei einem halben stehen geblieben war.
    Ein wenig Trost in der Enttäuschung, oder?
    Als er das letzte Mal den Kopf vom Kissen hob und die roten Digitalziffern auf dem Fernsehapparat betrachtete, waren sie bis auf 01.56 vorgerückt.
    35
    L eblanc hatte ihnen ein Auto zur Verfügung gestellt, einen schwarzen Renault, was Barbarotti an Cognac denken ließ. Sie fuhren gegen neun Uhr aus Quimper hinaus, und nach einer halbstündigen Fahrt über kurvige Straßen durch eine grünende, hier und da fast zugewachsene Landschaft befanden sie sich am Cap de Mousterlin. Die Landzunge ragte wie eine Nase ins Meer, und auf beiden Seiten von ihr erstreckten sich lange Sandstrände; es war Ebbe, und das Wasser befand sich momentan fünfzig, sechzig Meter unterhalb der grasbewachsenen Dünen, die das Marschgebiet dahinter schützten. Es sah überhaupt nicht aus wie die Bretagne, in der Barbarotti vor fünfzehn Jahren ein paar Sommerwochen verbracht hatte. Damals war er an der nördlichen Küste gewesen, Côtes d'Armor, mit dramatischen Klippen, kleinen, geschützten Buchten, Grotten und eigenartigen Steinformationen. Plötzlich erinnerte er sich an die merkwürdigen Ortsnamen: Tregastel. Perros-Guirec. Ploumanach.
    Aber hier auf der Südseite war es flach, genau wie in den Mousterlin-Aufzeichnungen beschrieben. Und warm, zumindest an diesem Tag. Die Sonne strahlte von einem unbarmherzig blauen Himmel, und die Temperatur lag sicher zwischen fünfundzwanzig und dreißig Grad – obwohl es noch morgens war und obwohl die Schule in Schweden bereits wieder angefangen hatte. Noch waren die Strände fast leer, aber er zweifelte nicht daran, dass es hier in wenigen Stunden nur so von Menschen wimmeln würde. Er bereute schon, nicht zumindest ein Paar Shorts eingepackt zu haben, seine schwarze Jeans erschien ihm unangenehm warm – aber irgendwie passten Polizisten und kurze Hosen nicht zusammen.
    Inkompatibel, wie es heutzutage hieß.
    Nach rechts, zum Westen hin, endete der Strand an der kleinen Hafenstadt Bénodet. Nach links, östlich, und in drei Kilometer Entfernung, befand sich Beg-Meil.
    Barbarotti schaute auf die Uhr, und Tallin nickte. Zeit, sich nach Le Grand Large zu begeben, dem Restaurant, das laut Text ein paar hundert Meter in Richtung Beg-Meil liegen sollte. Hier hatten die Schweden mit Troaë an jenem Tag gesessen, als sie ihr zum ersten Mal am Strand begegnet waren. Barbarotti sah ein, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen war, und er wusste, dass auch Tallin und Morelius dieser Meinung waren. Aber sie wollten dennoch mit dem dortigen Personal sprechen und ihre Fotos hinterlegen. Ihre Visitenkarten auch und die Direktdurchwahl zu Commissaire Leblanc – falls doch jemand, gegen alle Vermutungen, sich noch an irgendetwas erinnern konnte.
    Sie wurden voller Freundlichkeit und Interesse empfangen, aber auch mit bedauerndem Kopfschütteln. Nur eine aus dem jetzigen Team hatte bereits 2002 im Restaurant gearbeitet, und da man nicht weniger als elf Sommer an diesem belebten Platz Touristen hatte kommen und gehen sehen, vermutlich annähernd vierzig- und fünfzigtausend Essens- und Bargäste, entschuldigte sie sich, dass sie sich wirklich nicht an die Menschen auf dem Foto erinnern konnte.
    Sie fuhren weiter nach Bénodet. Fanden ohne größere Probleme das Restaurant unten am Alten Hafen, das Le Transat hieß. Fanden auch mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit genau den Tisch und die Wand, vor der die sechs Schweden an einem Samstag vor fünf Jahren gesessen hatten – und führten ein ziemlich langes Gespräch mit dem Besitzer des Etablissements. Er war zwei Meter groß, hatte einen Bruder, der bei der Polizei von Marseille arbeitete, und liebte Kriminalromane über alles auf der Welt. Vielleicht ausgenommen seine Frau und seine Kinder.
    Trotzdem konnte er ihnen nicht helfen. Er studierte die Fotos von 2002, dachte lange und gründlich nach, aber, so gestand sich Barbarotti ein, selbst wenn er einen Geistesblitz gehabt hätte und sich an die Gesellschaft und diesen Samstag vor fünf Jahren hätte erin nern können – was eigentlich wäre damit gewonnen? Solange nicht der sechste Mann seinen Führerschein auf dem Tisch vergessen oder auf andere Art und Weise seine

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