Eine ganz andere Geschichte
blieben sie einen Moment lang im Sonnenschein stehen und blinzelten wie schlaftrunken – als brauchten sie einige Sekunden, um sich wieder in der Wirklichkeit zurechtzufinden. Dann erinnerte Backman sich daran, wo sie das Auto geparkt hatten, und gab Barbarotti ein Zeichen, sich in Bewegung zu setzen.
Es gab noch so einiges zu tun.
Der Abschluss einer Arbeitswoche hatte sich verwandelt in den Beginn eines langen Arbeitswochenendes.
Es war Viertel nach zehn, als Barbarotti das Polizeigebäude verließ. Mehr als drei Stunden hatte er dagesessen und Einsätze und die Verteilung der Arbeitsaufgaben diskutiert – eine Stunde lang hatte er mit der Presse geredet. Die Neuigkeit von dem Mord in der Skolgatan war auf unbekannten Wegen zu den Journalisten gedrungen, ohne dass die Polizei sie darauf hätte aufmerksam machen müssen, so war es ja meistens, und die provisorische Pressekonferenz war gut besucht gewesen. Nach einer kurzen Beratung hatten sie beschlossen, die Öffentlichkeit noch nicht über die Briefe des Mörders zu informieren; Barbarotti war sich alles andere als sicher, ob das die richtige Entscheidung war, aber wenn man im Zweifel war, war es in der Regel am besten, etwas vorsichtiger vorzugehen. Sowohl Sorgsen als auch Staatsanwalt Sylvenius und Astor Nilsson – per Telefon in Göteborg – waren der gleichen Meinung gewesen, und wenn man am nächsten Tag zu einem anderen Beschluss kommen sollte, dann konnte man ja immer noch die Sache in einer neuen Pressemitteilung, die für fünfzehn Uhr versprochen worden war, zur Sprache bringen.
Während all dieser Diskussionen hatte Kommissar Asunander seine übliche zurückgezogene, ratgebende Rolle eingenommen, aber da ihn niemand um seinen Rat gefragt hatte, hatte er auch nicht mit seinem Gebiss klappern müssen.
Als Barbarotti nach Hause kam, ließ er sich auf demselben Stuhl auf demselben Balkon nieder wie am Abend zuvor, und er schaute auf die Reste desselben Sonnenuntergangs.
Oder auf die eines einen Tag jüngeren Sonnenuntergangs, wenn man kleinlich sein wollte, das ganze Universum war schließlich einen Tag älter geworden, während Barbarotti sich um einiges mehr gealtert fühlte. Ungefähr ein paar Jahrzehnte. Die Krähen waren bereits zur Ruhe gekommen, wie er feststellen konnte; der Lärm, der zu ihm in den vierten Stock heraufdrang, kam eher von freitagsfröhlichen Jugendlichen, die das schöne Wetter in den Parks und Biergärten ausnutzten.
Er öffnete ein Bier, er auch, schenkte sich ein und trank es in vier, fünf Schlucken. Spürte fast augenblicklich, wie die starke Anspannung von ihm abfiel und eine große Müdigkeit sich langsam in ihm ausbreitete.
Worum geht es hier eigentlich?, dachte er.
Was ist das für ein Wahnsinniger, mit dem wir es hier zu tun haben?
Schlaffe, sterile Fragen, geboren aus der Ohnmacht, das wusste er. Und gefährliche. Den Feind zu dämonisieren gehört zu den üblichsten, den allerbilligsten Fehlern. Das war der Bodensatz jedes Rassismus, jeder Fremdenfeindlichkeit. Gegen Ende des Abends war Asunander zu ihm in sein Büro gekommen und hatte Andeutungen gemacht, wonach die Rede von Verstärkung sein könnte; die Frage sollte am Samstag entschieden werden, und Barbarotti spürte, dass er eine derartige Entwicklung begrüßte. Während es sonst üblich war, dass man die Dinge lieber selbst regelte – wenn es etwas gab, worauf man im Corps bedacht war, dann waren es die Reviergrenzen.
Aber nicht in diesem Fall, dachte Barbarotti. Holt Leute aus Göteborg und aus der Zentrale, ich habe nichts dagegen. Ich verkaufe meinen Ruf für einen Heller.
Ihm war klar, dass es die Lakaien der Müdigkeit waren, die in ihm herumspukten, aber nach drei zwölfstündigen Arbeitstagen, die eigentlich seine letzten drei Urlaubstage hatten sein sollen, erschienen ihm diese Gefühle in gewisser Weise legitim.
Er hatte es den ganzen Tag über so gut wie gar nicht geschafft, an Marianne zu denken, und erst jetzt, als die Uhr schon fast elf zeigte, erinnerte er sich daran, was sie gesagt hatte von einer Fahrt nach Vis-by, um sich ein Telefon zu besorgen.
Guter Gott, dachte er. Lass sie anrufen. Ein Punkt, okay? Doch der Herrgott hatte nicht die Absicht, seine Position an diesem Abend zu verbessern, also schlief Kriminalinspektor Barbarotti irgendwann kurz nach Mitternacht ein – ungetröstet, ungeliebt, vergessen, verstoßen von Gott und ohne sich die Zähne zu putzen.
11
I n dem Moment, als er sich am Samstagmorgen ins Auto
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