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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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lag, und er umklammerte das Lenkrad noch fester. Genau das hatte er geträumt. Dass es nicht Anna Eriksson war, die sich da unter den Plastiksäcken verbarg, sondern seine eigene Tochter.
    Das Leben ist so verdammt zerbrechlich, dachte Gunnar Barbarotti. Und so verdammt normal, bis zu der Sekunde, in der alles zerbricht.
    So ist es. Wie eine Wanderung über frisches Eis, das sind die Bedingungen. Und da klingelte sein Handy.
    »Es klappt! Guten Morgen, mein Geliebter.«
    Allein ihre Stimme zu hören, brachte ihn fast dazu, auf einen vor ihm fahrenden deutschen Fernlaster aufzufahren. Im Augenblick ist irgendetwas mit meiner Seele ernsthaft nicht in Ordnung, dachte er. Sie ist empfindlich wie die eines Vierzehnjährigen.
    »Hallo«, sagte er. »Hast du …?«
    »Ja, natürlich. Ich komme gerade aus dem Laden. Es ist gelb, ich habe es fast umsonst gekriegt, weil es so ein altes Modell ist.«
    Eine verwirrende Sekunde lang begriff er nicht, wovon sie sprach, aber dann wurde es ihm klar. »Ist mir vollkommen egal, welche Farbe es hat«, sagte er. »Aber die Nummer will ich haben.«
    Sie wiederholte sie zweimal und versprach, sie ihm sicherheitshalber noch per SMS zu schicken, obwohl sie doch sicher bereits auf seinem Apparat gespeichert war, nachdem sie ihn angerufen hatte? Dann fragte sie, was er gerade machte. Er erklärte, dass er auf dem Weg nach Jönköping war, um dort die Mutter einer Frau zu sprechen, die gerade ermordet worden war. Einen Moment lang blieb es still in der Leitung, und ihm wurde klar, dass er unnötig realistisch gewesen war.
    »Der Briefeschreiber?«, fragte sie.
    »Ich fürchte ja.«
    »Mein Gott«, sagte sie. »Dann hat er also zwei auf dem Gewissen?«
    »Leider ja«, bestätigte Gunnar Barbarotti, als wäre das in irgendeiner Art und Weise seine Schuld – als Kriminalpolizist und als Empfänger der Briefe –, dass Erik Bergman und Anna Eriksson ihr Leben verloren hatten, und als wolle er Marianne dafür um Entschuldigung bitten. Das war natürlich ein schräger Gedanke, aber in gewisser Weise hatte er das Gefühl, er hätte die Wahrheit für sich behalten sollen.
    Obwohl sie ihr früher oder später doch zu Ohren gekommen wäre. Sie las ja wohl Zeitung und hörte Radio. Dann war es genauso gut, wenn sie es durch ihn erfuhr.
    »Im Augenblick ist es ein bisschen viel«, sagte er. »Ich wünschte wirklich, ich hätte Gotland nie verlassen.«
    »Wir wollen heute Nachmittag draußen auf dem Rasen Darts spielen«, sagte sie. »Du bist herzlich willkommen … entschuldige, aber das ist ja schrecklich. Steht heute darüber schon etwas in den Zeitungen?« »Ich denke schon«, sagte Barbarotti. »Ich habe nicht nachgesehen.«
    »Ich kaufe mir eine Abendzeitung«, beschloss Marianne. »Schließlich möchte ich gern wissen, womit du dich beschäftigst. Aber diese Ermittlungen, sag mal … das ist doch auch keine Alltagskost für dich, oder?«
    Warum fragt sie das?, überlegte Gunnar Barbarotti schnell. Weil sie sich nicht vorstellen kann, mit einem Mann zusammenzuleben, der in so einer Branche arbeitet?
    »Nein«, antwortete er. »Das ist keine Alltagskost. Ich glaube, so et was ist mir noch nie untergekommen. Ich überlege ernsthaft, ob ich den Beruf wechsle.«
    Letzteres sagte er, ohne dass die Worte zuvor das Gehirn passiert hatten – wahrscheinlich ein Einfall, um ihr zu verstehen zu geben, dass er keine Angst vor Veränderungen hatte – aber als sie zehn Minuten später ihr Gespräch beendeten, konnte er feststellen, dass sie immer noch in seinen Gedanken hingen. Die Worte. Und sie leuchteten mit solch einem tiefroten, grellen Schein wie die Warnblinklampen auf dem Armaturenbrett im Auto. Tanken in 50 Kilometern! Öl nachfüllen!
    Beruf wechseln!
    Ich muss darüber mal irgendwann in aller Ruhe nachdenken, dachte Inspektor Barbarotti. Mein Leben befindet sich in einem Kreisverkehr.
    Viveka Hall Eriksson empfing ihn in ihrer Küche in einem schön gelegenen Haus im Stadtteil Bymarken in Jönköping. Der Vättern lag spiegelglatt nur ein paar hundert Meter unterhalb des großzügigen Panoramafensters, und Barbarotti war klar, dass sie, auch wenn sie ein unstetes Leben mit vielen verschiedenen Beziehungen geführt hatte, zumindest finanziell nicht unversorgt zurückgeblieben war.
    Und alle Kinder schienen aus dem Nest ausgeflogen zu sein. Männer auch.
    Sie war vierundsechzig Jahre alt, das hatte er überprüft, und sie tat ihr Bestes, um wie vierundvierzig auszusehen. Es war kurz nach elf Uhr, als

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