Eine ganz andere Geschichte
sie sich an dem gedeckten Kaffeetisch niederließen, und er vermutete, dass sie einen großen Teil des Morgens damit verbracht hatte, ihr Aussehen auf ein anständiges Niveau zu bringen. Möglicherweise hatte sie es auch noch zum Friseur und Schönheitssalon geschafft, das Haar war frisch gelockt und blond wie ein reifer Weizenacker, die Wangen gepudert und mit Rouge belegt, die Nägel frisch lackiert, sie sah in keiner Weise aus wie eine Frau, die neun Kinder auf die Welt gebracht hatte.
Auch nicht wie eine Mutter, die am Tag zuvor erfahren hatte, dass ihre Tochter ermordet worden war.
»Lieber Kommissar, ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan«, verkündete sie dennoch mit lauter Stimme und strich sich mehrere Male über ihre lila glänzende Bluse, um sie noch glatter und glänzender zu machen. »Ich bin so verzweifelt, dass ich nicht weiß, was ich machen soll. Haben Sie ihn gefasst?«
»Nein«, sagte Barbarotti. »Leider nicht. Wir wissen nicht, wer der Täter sein könnte. Und deshalb möchte ich gern ein wenig mit Ihnen sprechen.«
»Mit mir?«, rief Viveka Hall Eriksson aus. »Mein Gott, ich weiß ja nichts darüber … ich verstehe nicht, was … mein Gott!«
Sie redete, als befände sich ihr Zuhörer zwanzig, dreißig Meter entfernt; Barbarotti fragte sich, ob das wohl ihre normale Lautstärke war oder ob nicht doch eine Art akuter Hysterie in ihr ihr Unwesen trieb. Am Telefon hatte sie nicht so geklungen.
»Ich möchte mich nur ein wenig mit Ihnen unterhalten«, sagte er so langsam und leise, wie er nur konnte. »Natürlich können Sie nichts über den Hintergrund der tragischen Ereignisse wissen, aber wir müssen gründlich vorgehen, das verstehen Sie doch. Wir möchten den Täter, der Anna getötet hat, gerne finden.«
»Ja, ja«, sagte sie. »Das müsst ihr auch. Dieser Teufel darf nicht frei herumlaufen. Sie war gut wie Gold, meine Anna, oh ja, das war sie wirklich.«
»Das war sie sicher«, bestätigte Barbarotti. »Wie ist es, wissen Sie, ob sie in letzter Zeit mit jemandem verkehrte?«
»Verkehrte?«, wiederholte Viveka Hall Eriksson, als hätte sie nicht so recht verstanden. »Sie hatte keinen Typen, wenn es das ist, was Sie meinen.«
»Hatte sie eine Beziehung, die vor kurzem zu Ende ging?«
»Ja, mein Gott, das hatte sie bestimmt«, räumte Viveka Hall Eriksson ein. »Das Mädchen hatte ja keine Probleme, einen Mann zu finden. Die waren wie Blutegel hinter ihr her, aber sie konnte Grenzen setzen, darauf habe ich geachtet, dass meine Töchter das lernen.«
»Conny Härnlind?«, versuchte es Barbarotti und spürte langsam eine gewisse Verzweiflung. »Ist das ein Name, der Ihnen etwas sagt?«
Sie schnaubte. »Ich achte doch nicht immer drauf, wie die heißen. Aber ich weiß, dass Anna auf sich aufpassen konnte, dieser Kerl, der sie erschlagen hat, das kann keiner sein, mit dem sie zusammen gewesen ist, das muss Ihnen klar sein. Sie hat darauf geachtet, vernünftige Freunde zu haben, nicht solche Gewalttypen.«
»Erik Bergman?«
»Was?«
»Ist Ihnen der Name bekannt?«
»Erik Bergman? Nein, den habe ich noch nie gehört.«
Barbarotti trank von seinem Kaffee und wechselte die Spur.
»Sie haben das letzte Mal am Sonntag mit ihr gesprochen, stimmt das?«
»Das stimmt«, bestätigte Viveka Hall Eriksson. »Wir haben immer so einmal die Woche miteinander telefoniert. Über alles Mögliche. Wenn sie einen Rat von mir haben will, dann kriegt sie ihn; will sie nicht, dann halte ich mich raus. So läuft das bei ihr und bei den anderen auch.«
»Können Sie sich noch dran erinnern, worüber Sie geredet haben?«
»Aber natürlich. Wir haben darüber geredet, dass sie nach Gotland fahren wollte, ja, gestern. Ich habe ihr ein paar Tipps gegeben, ich bin siebzehn Mal in meinem Leben in Visby gewesen, ein richtiges Sommerparadies ist das, und natürlich will man das weitergeben, was man erfahren hat.«
Natürlich, dachte Barbarotti. Gute Sitten sollten weitervererbt werden. »Wollte sie allein fahren oder mit einem Freund?«, fragte er.
»Mit einer Freundin, aber ich komme nicht mehr auf ihren Namen. Lisbeth oder so etwas. Ja, sie wollten zu zweit fahren. Ich habe ihr gesagt, sie sollten versuchen, ein Haus draußen in der Gustavsvik zu bekommen, das ist am billigsten und am besten. Dicht bei der Stadt und nicht weit von Snäck, dieser Ferienhaussiedlung, besser geht's nicht – waren Sie schon mal auf Gotland?«
Barbarotti nickte. »Ja, mehrere Male. Es ist eine schöne Insel.«
»Man
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