Eine geheime Liebe - Roman
zu entschwinden.«
Sie schien mich misstrauisch anzuschauen. Wie hätte ich es ihr verdenken sollen, Gabriella? Wenn ich von diesem
Theater rede, verliere ich jede Selbstbeherrschung. Diese Krankheit kann nur verstehen, wer unwiderruflich mit ihr infiziert und für immer von ihr geheilt wurde. Ich habe sie gar nicht beachtet. Es hat mich viel Mühe gekostet, mich nicht länger um höflich tadelnde Blicke zu scheren.
»Sie müssen müde sein, Lucrezia. Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer. Annette hat das meiner Tochter Carolina hergerichtet.«
Glücklicherweise hatte ich es morgens noch in Augenschein genommen. Wenn ich nicht hochgegangen wäre, hätte mein junger Gast keinen Bademantel, dafür aber ein buntes Sammelsurium an verschiedensten Handtüchern vorgefunden. Stattdessen hatte ich weiche weiße Handtücher aus meiner Hotelsammlung aufs Bett gelegt und dabei vor allem jene aus meinen Lieblingsstädten genommen: Madrid, Paris, London, Sevilla. Sie lächelte, als sie den ordentlichen Stapel sah, und ich sah mich zu einer eiligen Erklärung gezwungen.
»Ich habe sie überall zusammengeklaut, Lucrezia, mit eiserner Disziplin. Meine Schränke quellen über von Souvenirs in Frottee. In wenigen Zügen könnte ich meine gesamte Karriere daran erläutern.«
Er dagegen hat spitze Bleistifte geklaut, es musste nur das Hotelwappen eingeprägt sein. Zu Hause legte er sie dann in eine Holzschachtel, wie wir sie in der Schule hatten. Benutzt hat er sie nie.
Nach einem bescheidenen Mahl, das durch musikalische Absonderlichkeiten bereichert wurde, servierte Annette im Wohnzimmer den Kaffee. Sie wirkte mürrisch, zeigte aber -
aus welcher eigentümlichen Eingebung heraus auch immer - nicht das übliche Misstrauen, das sie für gewöhnlich an den Tag legte, wenn jemand unsere ländliche Ruhe störte. Du hast es selbst erlebt, Gabriella, Annette erträgt nur Thierry. Weil er mich geheiratet hat. Empfange ich aber Unbekannte, also Kinder oder Enkel von Schriftstellern etwa oder junge Musiker, für die ich eine weise Alte bin, die Ratschläge erteilt und Geheimnisse verrät, lamentiert sie.
»Trotz meines ehrwürdigen Alters sind die Leute immer noch neugierig auf mich. Komisch, nicht wahr? In einem Buch über die Geschichte des Theaters beschreibt mich ein betagter, langweiliger Chronist als ein seltenes und wertvolles Vorbild an Disziplin. Fast scheint es, als hätte in meinem Leben das Tun unmerklich das Sein verdeckt. Jahrelang habe ich es geschafft, die Leute zu hintergehen, sogar als die anscheinend mühelose Lebhaftigkeit die melancholische Grundstimmung meiner Existenz überdecken musste. Nur wenige haben den Betrug durchschaut. Dieses Theater war Schauplatz von schlagzeilenträchtigen Fehden und überbordenden Leidenschaften.«
Man hatte keine Wahl. War man erst einmal in diese Welt eingetaucht, lernte man die Spielarten der Eitelkeit kennen. Das war nicht leicht zu durchschauen, sie hat die Menschen umworben und umschmeichelt. Mit ihrem maliziösen Lächeln hat sie dich verführt, bis sie dich schließlich mit ihren Krallen zu fassen bekam und du wie ein gefräßiges Tier die Backen aufgeblasen hast. Die Eitelkeit war es, die dir auch noch die letzten Überbleibsel jener Wahrheit verleidet hat,
der man sich laut Eltern, Schule und erster Liebe verpflichtet fühlen soll. Irgendwann konnte man nur noch zwischen diesen mit rotem Samt ausgekleideten Wänden atmen. Die wirkliche Welt existierte nicht mehr. Alles an der Wirklichkeit wurde durch die Medien vergrößert und verzerrt, und in der Vorstellung, dass man das alles nicht mehr brauchte, wurde man noch bestärkt durch die Massen von Bewunderern, die sich am Bühneneingang oder unter den Arkaden drängten, ihre Hände ausstreckten, hartnäckig bettelten. Es ging ihnen um ein Gekrakel, das gedankenlos auf vergilbte Partituren gesetzt wurde, auf die Eintrittskarten vom jeweiligen Abend, auf CD-Cover, Illustrierte mit dem Bild des Idols oder jämmerliche, irgendwo herausgerissene Papierfetzen. Dann ging man glücklich nach Hause und umklammerte die Trophäe. Ein Abglanz der Eitelkeit anderer landete in den Taschen von Menschen, die gekommen waren, um sich zu begeistern und so zu tun, als würden sie die Kälte nicht mehr spüren.
»Am stursten waren die Japaner. So treue Zuhörer waren es, dass sie es geschafft haben, auch in ihren gewaltigen Ameisenstädten die Musik zu verbreiten. Auf Ihren Tourneen werden Sie ihnen ebenfalls begegnet sein! Diszipliniert haben sie sich in
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