Eine geheimnisvolle Lady
Wunsch nach einer Konversation bekunden würde.
Wieder einmal fragte Ashcroft sich verwirrt, welchen gesellschaftlichen Status seine Liebhaberin einnahm. Nachdem sie akzeptiert hatte, dass die Begegnung mit seiner Tante unvermeidlich war, überraschte sie ihn mit tadellosen Manieren. Man sollte annehmen, sie würde jeden Tag Aristokratinnen treffen.
»Stammen Sie aus London, Mrs. Carrick?«, fragte die Countess wohl oder übel, da ihr Neffe offensichtlich nicht beabsichtigte, die junge Frau zu entfernen.
Unter gesenkten Wimpern warf Diana ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Aber ihre Stimme klang ruhig und freundlich. »Nein, Mylady, aus einem Dorf in Surrey. Sicher werden Sie es nicht kennen.«
Nun würde er alles erfahren, schoss es Ashcroft durch den Kopf. Alles, was er wissen wollte, würde er herausfinden, ohne eine arglistige Taktik anzuwenden. Seine Tante würde fragen, Diana würde antworten.
Doch er irrte sich. Die Countess hob ihre buschigen Brauen. »Oh, ich kenne Surrey sehr gut. In diesem County habe ich mehrere Häuser besucht.«
»Ein sehr schöner Teil von England«, bemerkte Diana neutral.
Diesen Moment wählte Charlotte, um von dem Ausstellungsstück zurückzukehren, das sie fasziniert hatte – was immer es auch gewesen sein mochte. Geräuschvolles Niesen begleitete ihre Ankunft. »Gerade sah ich Susannah Meredith bei den griechischen Vasen, Mama. Sie sagt, da ist …« Abrupt verstummte sie und starrte Diana mit wässrigen Augen an. »Oh, du meine Güte, was für ein schönes Kleid!«
»Dieser Dame wurdest du noch nicht vorgestellt, Charlotte«, mahnte die Countess. »Du bist wirklich ein schrecklich ungezogenes Mädchen. Nur der Himmel mag wissen, wie wir Eintrittskarten fürs Almack’s kriegen sollen, wenn du dich nicht besserst.«
»Verzeih mir, Mama«, murmelte Charlotte, senkte den Kopf, und die kurze vitale Aufwallung nahm ein jähes Ende.
Diana schenkte dem niedergeschlagenen, offenbar kranken Mädchen ein aufmunterndes Lächeln. Sofort begann Ashcrofts Herz wieder zu galoppieren. Was für eine unglaublich schöne Frau sie war. Während die Erleichterung allmählich nachließ, die ihn bei ihrem Anblick verwirrt hatte, bemerkte er ihre elegante Aufmachung. Das Oberteil ihres Kleides war leuchtend blau mit goldener Stickerei und bis zum Hals geschlossen. Er begrüßte es, dass sie ihren Busen nicht entblößte und von jedem dahergelaufenen Halunken begaffen ließ.
Nur ein einziger Halunke durfte Diana Carrick angaffen – er selbst.
»Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen, Lady Charlotte«, sagte Diana in liebenswürdigem Ton. »Dieses Ensemble ist auch mein Favorit.«
Missbilligend schnaubte die Countess. »Darf ich Ihnen meine Tochter Charlotte Goudge vorstellen, Mrs. Carrick?«, fragte sie frostig.
Wieder einmal versank Diana in einem bezaubernden, selbstsicheren Knicks. »Lady Charlotte.«
»Tarquin, wir sind verabredet«, verkündete die Tante, »Mrs. Carrick.«
Noch ein Knicks. »Mylady.« Noch immer klang Dianas Stimme ruhig und höflich.
Während die Countess davonstolzierte, blieb Charlotte zurück und lächelte Diana schüchtern an – so charmant, dass Ashcroft überlegte, ob er sie unterschätzt hatte. »Hoffentlich begegnen wir uns bald wieder, Mrs. Carrick.«
»Darüber würde ich mich freuen. Aber ich bleibe nicht mehr lange in der Stadt.«
Charlotte warf Ashcroft einen nervösen Blick zu. Mühelos erriet er, welch grausige Geschichten ihr die Verwandten über ihn erzählt hatten. Vermutlich war er in einigen Gutenachtgeschichten in ein furchterregendes Monstrum verwandelt worden. »Nächsten Donnerstag gibt Mama eine musikalische Soiree. Sicher würde sie sich freuen, wenn Sie uns besuchen, Mrs. Carrick.«
Wie ein flüchtiges, ironisches Zucken von Dianas Mundwinkeln bezeugte, wusste sie sehr gut, dass sich die Countess keineswegs freuen würde, eine Frau von unbekannter Herkunft in ihrem Haus zu begrüßen. Ihre Stimme klang immer noch liebenswert. Das musste er ihr hoch anrechnen. »Vielen Dank für die freundliche Einladung. Aber am nächsten Donnerstag bin ich bereits verabredet.«
»Charlotte!« Seine Tante blieb in der Tür stehen und bedachte das Mädchen mit einem durchdringenden Blick.
Hastig knickste Charlotte vor Diana und eilte zu ihrer Mutter.
»Diese Szene war völlig unnötig«, zischte Diana. Endlich schaute sie ihn an. Ihr Gesicht war blass, abgesehen von rosigen Flecken über den Wangenknochen. »Wenn sie auch nur ahnt, dass ich
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