Eine geheimnisvolle Lady
sie unzählige Stunden in Ashcrofts Armen verbracht. Und wenn sie nicht mit ihm zusammen war, dachte sie unentwegt an ihn. Wie eine schwärmerische Sechzehnjährige, die zum ersten Mal verliebt war, führte sie sich auf. Und jede Begegnung verlief leidenschaftlicher als die vorangegangene. Jedes Wiedersehen bedrohte die geringfügige emotionale Distanz, die sie noch zu wahren vermochte.
Niemals hatte sie einen Mann wie den Earl gekannt. Und wie sie schicksalsergeben erkannte, würde er eine bleibende Narbe in ihrem Herzen hinterlassen.
Als sie Robert ins Haus folgte, legte sie verstohlen eine Hand auf ihren flachen Bauch. Wuchs bereits ein Kind darin? Ein Kind mit Ashcrofts schönen grünen Augen und dem Talent, Freude zu schenken? Falls ja – wäre sie so grausam, seine Existenz dem Mann zu verheimlichen, der es gezeugt hatte?
Sie betrat die Bibliothek und sah seinen dunklen Kopf über den Schreibtisch gebeugt, an dem er sie letzte Woche in so überwältigende Ekstase versetzt hatte.
»Diana.« Er blickte auf und trieb ihr das Blut in die Wangen. In seinen strahlenden Augen zwischen den dichten dunklen Wimpern las sie, dass er erriet, woran sie sich erinnerte. Immer wieder überraschte er sie mit der Fähigkeit, ihre Gedanken zu lesen – glücklicherweise nur, wenn sie ihn verführte. Inständig hoffte sie, er würde nie erfahren, was sie dazu veranlasst hatte. Nach diesen Tagen intimer Vertrautheit würde sie es nicht ertragen, wenn er sie hasste. »Ich dachte, du bist oben.« In letzter Zeit hatte sich eine gewisse Routine entwickelt.
Lächelnd richtete er sich auf. »Ich muss dir etwas zeigen.«
»Fast alles, was du zu bieten hast, kenne ich schon.« Automatisch schlug sie einen koketten, gurrenden Ton an. In seiner Gesellschaft verwandelte sie sich in eine andere Frau – sinnlich, selbstbewusst, witzig. Diese Diana würde ihr fehlen, wenn sie in ihr altes Leben zurückkehrte. Oder wenn sie als respektable Marchioness of Burnley auf Cranston Abbey schaltete und waltete.
Noch viel schmerzlicher würde sie ihren glühenden Liebhaber vermissen. Entschlossen verdrängte sie diesen Gedanken. Jetzt war sie bei ihm, und sie wollte die Gunst der Stunde nicht mit der Angst vor der unvermeidlichen Trennung trüben.
Er lachte, und wie immer, wenn sie das hörte, jubelte ihr Herz. »Noch längst nicht alles, meine Liebste.«
Seine Liebste …
Hastig begann sie zu sprechen, ehe das Kosewort in ihrer Seele unausrottbare Wurzeln schlug. Doch es war ohnehin schon zu spät, denn so nannte er sie nicht zum ersten Mal. »Oh, das klingt vielversprechend.«
Seine Augen verengten sich. Prüfend schaute er sie an.
»Komm her.«
Was war sie doch für eine arme, bezauberte Närrin. Sie zögerte keine Sekunde lang, und er umfing sie mit beiden Armen. Heiß und fordernd presste er seinen Mund auf ihren und hob erst den Kopf, als ihr schwindlig wurde. Als das Blut so heftig in ihren Ohren rauschte, dass sie kaum etwas anderes hörte.
»Warum hat es so lange gedauert, bis du zurückgekommen bist?«
Gepeinigt senkte sie die Lider und suchte nach einer vernünftigen Antwort. Erst an diesem Vormittag hatte sie sein Bett verlassen und den restlichen Tag in einem unruhigen Nebel verbracht, bis sie endlich zu ihm zurückkehren konnte. Immer schwerer fiel es ihr, sich einzureden, sie würde nach wie vor ein Leben außerhalb von seinem führen. »Nur ein paar Stunden.«
»Jahre.«
Lieber Gott, hilf mir.
Mühsam riss sie ihren Blick von seinen Jadeaugen los und betrachtete den Schreibtisch. »Hast du doch noch etwas Interessantes unter Lord Montjoys Büchern gefunden?«
Ashcroft küsste sie, dann ließ er sie los und ging zu einem Wandtischchen. »Nein. Meinetwegen kann er die ganze Sammlung versteigern lassen.«
»Was ist es dann? Irgendetwas in dieser Kassette?« Sie hatte ein Holzkästchen auf dem Schreibtisch entdeckt. Bei ihrer Ankunft war es hinter Büchern verborgen gewesen.
Er füllte zwei Gläser mit Bordeaux und reichte ihr eines. »In der Tat«, bestätigte er und nahm einen Schluck. »Mach es auf.« Als würde er ihr ein ganz besonderes Geschenk präsentieren, strahlte er über das ganze Gesicht, und sie versuchte, seinen Enthusiasmus nicht liebenswert zu finden. Welch ein sinnloses Unterfangen …
Nachdem sie an ihrem Wein genippt hatte, stellte sie den Kelch ab. Sie wusste, dass Ashcroft sie beobachtete. Doch sie konzentrierte sich auf das Kästchen und hob den nur locker geschlossenen Deckel. Darunter kam
Weitere Kostenlose Bücher