Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
Laßt sie zu mir kommen und wehret ihnen nicht. Sie sehen das Angesicht meines Vaters. Oh, Vater – beseligende Worte!
    So mengte sich das Rauschen eines Engelflügels in die anderen Töne, die nicht mehr ausschließlich der Erde angehörten, sondern auch einen Hauch vom Himmel in sich aufgenommen hatten. Das Seufzen der Winde, die über ein kleines Grab im Garten wehten, trat gleichfalls dazu, und Lucie hörte beides deutlich, wie ein leises Geflüster, wie das Atmen einer an dem sandigen Gestade schlafenden sommerlichen See, während die kleine Lucie, die in komischem Eifer ihre Morgenaufgabe lernte oder neben dem Schemel ihrer Mutter eine Puppe ankleidete, in den Zungen der beiden Städte plauderte, die in ihr Leben verwoben waren.
    Das Echo hatte nur selten auf die Schritte Sydney Cartons zu antworten. Im höchsten Falle ein halbdutzendmal des Jahres machte er von seinem Vorrecht, uneingeladen kommen zu dürfen, Gebrauch, und dann verlebte er den Abend unter ihnen, wie er es früher oft getan hatte. Wenn er erschien, war er nie vom Wein erhitzt. Aber noch etwas anderes berichteten die Echos von ihm, was alle zuverlässigen Echos aller Zeiten schon berichtet haben.
    Nie hat ein Mann wahrhaft ein Weib geliebt, sie verloren und der Frau und Mutter, wenn er sie sah, eine reine und unveränderliche Anhänglichkeit bewahrt, ohne daß von ihren Kindern eine eigentümliche Teilnahme, ein instinktartiges Gefühl des Mitleids für ihn an den Tag gelegt worden wäre. Welche zarten, geheimen Gefühle in einem solchen Falle berührt werden, erzählt kein Echo; aber die Sache ist einmal so und war es auch in unserem Falle. Carton war der erste Fremde, dem die kleine Lucie ihre runden Ärmchen entgegenbreitete, und er behielt seinen Platz bei, als sie größer wurde. Auch das Knäblein hatte fast noch im letzten Augenblick von ihm gesprochen. »Der arme Carton! Gib ihm einen Kuß von mir!«
    Mr. Stryver schob sich durch die Rechtsgeschäfte wie ein mächtiges Dampfschiff durch trübes Wasser und zog seinen nützlichen Freund als ein Schleppboot in seinem Kielwasser nach. Da ein so begünstigtes Fahrzeug gewöhnlich arg umhergestoßen und meist von Wellen überflutet wird, so fehlte es auch Sydney nicht an entsprechender Überschwemmung. Aber gleichgültig und ganz in den Banden der Gewohnheit, die mächtiger auf ihn wirkten als irgendein anspornendes Gefühl für Verdienst oder Schande, fand er sich in seine Lebensweise, und er dachte ebensowenig daran, sich aus seiner Schakalstellung zu erheben, wie man von einem wirklichen Schakal annehmen kann, er trage sich mit der kühnen Absicht,
selbst ein Löwe zu werden. Stryver war reich; er hatte eine noch blühende Witwe mit einem schönen Vermögen und drei Buben geheiratet, an denen nichts Glänzendes zu bemerken war außer dem glatt gestrichenen Haar auf ihren Knödelköpfen.
    Diese drei jungen Gentlemen hatte Mr. Stryver, der aus jeder Pore Gönnerschaft der allerwiderlichsten Art schwitzte, wie ebenso viele Schafe vor sich her nach dem stillen Winkel in Soho getrieben und Lucies Gatten mit den zarten Worten als Schüler angeboten: »Hallo, da bring ich dreimal Butterbrot und Käse zu Eurem ehelichen Picknick, Darnay!« Ob der höflichen Zurückweisung dieser Zugabe zur Mahlzeit war Mr. Stryver vor Entrüstung ganz aufgeschwollen, und er machte sich diesen Vorgang späterhin bei der Erziehung der gedachten jungen Gentlemen immer wieder zunutze, indem er sie anwies, sich vor dem Bettelstolz, wie ihn dieses Schulmeisterlein zur Schau gestellt hatte, in acht zu nehmen. Er pflegte auch, wenn er bei seinem Rotwein saß, Mrs. Stryver über die Kunstgriffe, die Mrs. Darnay früher in Anwendung brachte, um ihn zu ›fangen‹, und über den scharfen Schliff seiner eigenen Schlauheit allerlei zu deklarieren, die ihn vor den ihm gelegten Schlingen bewahrt hätte. Einige seiner guten Freunde vom Kings-Bench-Gericht, die gelegentlich sich seinen Roten schmecken ließen und die Lüge mit anhörten, entschuldigten sie mit der Annahme, er habe sie so oft erzählt, daß er jetzt selbst daran glaube, obschon dies eigentlich nur eine so unleidliche Erschwerung eines an sich schon schweren Vergehens wäre, daß man geneigt sein könnte, einen derartigen Übeltäter beiseite zu schaffen und aufzuhängen.
    Mancherlei Stimmen machten sich unter den Echos bemerkbar, auf die Lucie bisweilen gedankenvoll, bisweilen belustigt und lachend in ihrem widerhallenden Winkel lauschte,
bis ihr Töchterlein

Weitere Kostenlose Bücher