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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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sechs Jahre alt war. Wie nahe ihrem Herzen der Widerhall der Schritte ihres Kindes, ihres teuren, stets tätigen, geisteskräftigen Vaters und ihres geliebten Gatten ging, brauchen wir nicht erst zu sagen – ebensowenig, wie das leichteste Echo ihres gemeinsamen Haushalts, der unter ihrer weisen, die Eleganz wahrenden Wirtschaftlichkeit sogar reicher erschien als bei einer verschwenderischen Ausstattung, Musik für ihr Ohr war. Besonders süß klang ihr aber der Widerhall, den die Worte ihres Vaters erweckten, er finde sie seit ihrer Verheiratung, wenn es möglich sei, noch liebevoller gegen ihn als vorher; in bezug auf ihren Gatten gab er ihr die Versicherung, er bemerke nicht, daß ihrer Liebe zu ihm und ihrer treuen Handreichung irgendeine Sorge oder Pflicht Abtrag tue, sondern er müsse vielmehr fragen, worin doch der geheime Zauber liege, daß sie einander so alles in allem seien, als wären sie in eins verschmolzen, ohne daß es je den Anschein gewinne, es sei zuviel Arbeit vorhanden oder es müsse etwas übereilt werden.
    Es gab aber auch andere Echos, die während dieser ganzen Zeit aus der Ferne drohend sich vernehmlich machten. Und um die Zeit von Lucies sechstem Geburtstag waren sie allmählich in einen schrecklichen Ton übergegangen, als kämpfe in Frankreich ein mächtiger Sturm mit einer furchtbar hochgehenden See.
    Gegen die Mitte des Julis, im Jahre siebzehnhundertneunundachtzig, kam eines Abends Mr. Lorry noch spät von Tellsons herüber und setzte sich neben Lucie und Charles im Dunkeln an das Fenster. Es war ein drückend schwüler Abend, und alle drei gedachten jenes Sonntagabends, da sie von der nämlichen Stelle aus den Blitzen zugesehen hatten.
    »Ich glaubte schon«, sagte Mr. Lorry, seine braune Perücke zurückschiebend, »ich würde die Nacht über bei Tellsons blei
ben müssen. Wir haben den ganzen Tag so alle Hände voll zu tun gehabt, daß wir nicht wußten, wo wir anfangen und wo wir aufhören sollten. In Paris ist eine solche Unruhe, daß man uns vor lauter Vertrauen fast niederrennt. Unsere Kunden über dem Wasser drüben scheinen uns ihre Gelder nicht hurtig genug übermitteln zu können. Es ist eine wahre Manie unter ihnen, ihr Eigentum nach England zu schicken.«
    »Das sieht schlimm aus«, versetzte Darnay.
    »Schlimm, sagt Ihr, mein lieber Darnay? Ja, aber wir wissen nicht, ob Grund dafür vorhanden ist. Die Leute sind oft so unvernünftig. Wir bei Tellsons werden zum Teil alt, und man sollte uns nicht ohne genügende Veranlassung aus unserem gewohnten Gange bringen.«
    »Ihr wißt ja«, sagte Darnay, »wie düster und drohend der Himmel ist.«
    »Das weiß ich freilich«, pflichtete Mr. Lorry bei, indem er sich zu überreden versuchte, daß er wirklich ärgerlich und verstimmt sei, »aber ich bin einmal entschlossen, nach der Plackerei des langen Tages verdrießlich zu sein. Wo ist Manette?«
    »Hier«, sagte der Doktor, der eben in das dunkle Zimmer getreten war.
    »Freut mich, daß ich Euch zu Hause treffe; denn das Gedräng und das Unkengeschrei, von dem ich den lieben langen Tag umgeben war, hat mich mehr angegriffen, als sich der Mühe verlohnt. Ihr wollt doch hoffentlich nicht ausgehen?«
    »Nein, ich bin bereit, mit Euch eine Partie Puff zu spielen, wenn Ihr wollt«, sagte der Doktor.
    »Wenn ich aufrichtig sprechen soll, heut ist mir's nicht darum zu tun. Ich bin nicht in der Stimmung, heute abend Euren Gegenpart zu machen. Ist das Teebrett noch da, Lucie? Ich seh es nicht.«
    »Natürlich. Wir haben auf Euch gewartet.«
    »Danke, meine Liebe! Ist mein Engelchen schon zu Bett gebracht?«
    »Schläft schon gut.«
    »Recht so; alles gut und wohlbehalten. Gott sei Dank, ich weiß wahrhaftig nicht, warum hier nicht alles gut und wohlbehalten sein sollte; aber man hat mir den ganzen Tag so zugesetzt, und ich bin nicht mehr so jung, wie ich war. Danke schön! Jetzt kommt und nehmt Platz im Kreise; wir wollen ruhig zusammensitzen und auf die Echos lauschen, über die Ihr Eure eigene Theorie habt.«
    »Keine Theorie, nur Phantasie.«
    »Sei's drum, Phantasie also, mein weises Lämmlein«, sagte Mr. Lorry, ihre Hand streichelnd. »Sie sind sehr zahlreich und sehr laut, nicht wahr? Wir wollen hören.« –
     
    Ungestüme, tolle und gefährliche Schritte, die sich gewaltsam in das Leben anderer drängen – Schritte, die nicht leicht wieder zu verwischen sind, wenn sie einmal ihre roten Spuren zeigen, toben weit weg in Saint Antoine, während der kleine Kreis zu London im

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