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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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dunklen Stübchen am Fenster sitzt.
    Saint Antoine war an jenem Morgen eine unabsehbare schwarze Masse hin und her wogender Vogelscheuchen gewesen, und über den Wellen von Köpfen sah man Stahlklingen und Bajonette in der Sonne blitzen und blinken. Ein furchtbares Getöse brüllte aus der Kehle von Saint Antoine, und ein Wald von nackten Armen in der Luft glich dürren Baumzweigen im Winterwinde, und die Finger hielten krampfhaft jede Waffe oder jedes als Waffe brauchbare Gerät umkrallt, das aus der Tiefe unten, gleichviel wie weit weg, sich in die Höhe gearbeitet hatte.
    Wer sie austeilte, woher sie kamen, wo es den Anfang nahm, durch welche Vermittlung sie schockweise zumal, fast mit Blit
zesschnelle über den Häuptern der Menge so wirr zitterten und umherzuckten, darüber konnte der Haufen selbst keine Auskunft geben; aber Musketen waren verteilt worden, Patronentaschen, Pulver, Kugeln, eiserne und hölzerne Stangen, Messer, Äxte, Piken, kurz, was der Scharfsinn der Verzweiflung in eine Wehr umzuwandeln vermochte. Männer, die nichts anderes auftreiben konnten, rissen sich die Hände blutig an den Steinen und Ziegeln, die sie aus den Mauern brachen. Jeder Puls, jedes Herz in Saint Antoine verriet eine fieberhafte Spannung und loderte in wilder Hitze. Jedes lebende Wesen achtete sein Leben gering und war im Wahnsinn der Leidenschaft bereit, es zu opfern.
    Wie ein Wirbel kochenden Wassers einen Mittelpunkt hat, so umkreiste dieses tobende Gewühl Defarges Weinschenke, und jeder menschliche Tropfen in dem Kessel bekundete die Neigung, sich nach der Stelle hintreiben zu lassen, wo Defarge selbst, bereits von Schweiß und Pulver geschwärzt, Befehle ausgab, Waffen verteilte, den einen zurückstieß, den andern vorwärts zog, dort einem die Wehr abnahm, um sie einem andern zu geben, und im wildesten Gewühl des Aufruhrs sich abarbeitete.
    »Halt dich in meiner Nähe, Jacques drei«, rief Defarge, »und ihr, Jacques eins und zwei, trennt euch und tretet an die Spitze von so vielen dieser Patrioten, wie sich euch anschließen wollen. Wo ist mein Weib?«
    »Hier bin ich«, entgegnete Madame so ruhig wie immer, obwohl sie diesmal nicht strickte. Ihre entschlossene Rechte hatte, statt der gewöhnlichen leichteren Beschäftigung, zu einer Axt gegriffen; auch trug sie eine Pistole und ein Schlachtmesser im Gürtel. »Wohin willst du, Frau?«
    »Vorderhand gehe ich mit dir«, versetzte Madame. »Bald wirst du mich an der Spitze der Weiber sehen.«
    »So kommt!« rief Defarge mit dröhnender Stimme. »Patrioten und Freunde, wir sind bereit! Zur Bastille!«
    Mit einem Gebrüll, als habe aller Atem Frankreichs sich in diesem verabscheuten Worte zusammengedrängt, erhob sich die lebende See Woge an Woge und überflutete die Stadt nach diesem Punkte hin. Sturmglocken läuteten, Trommeln wirbelten, die See tobte und donnerte an ihr neues Gestade. Der Angriff begann.
    Tiefe Gräben, eine doppelte Zugbrücke, dicke Steinmauern, acht feste Türme, Kanonen, Musketen, Feuer und Rauch. Durch Feuer und Rauch, im Feuer und Rauch – denn die Masse warf ihn hinauf gegen eine Kanone, und im Nu war er der Kanonier – arbeitete Defarge von der Weinschenke zwei heiße Stunden wie ein mannhafter Krieger.
    Ein tiefer Graben, eine einfache Zugbrücke, dickes Steingemäuer, acht starke Türme, Kanonen, Musketen, Pulver und Rauch. Eine Zugbrücke niedergelassen! »Strengt euch an, ihr Kameraden alle, strengt euch an! Drauf, Jacques eins, Jacques zwei, Jacques eintausend, Jacques zweitausend, Jacques fünfundzwanzigtausend; im Namen aller Engel oder aller Teufel, wie ihr wollt, ans Werk!« So rief Defarge von der Weinschenke, noch immer bei seiner Kanone stehend, die längst heiß geworden war.
    »Mir nach, ihr Weiber!« rief Madame Defarge. »Können wir nicht so gut totschlagen wie die Männer, wenn der Platz genommen ist?«
    Und ihr nach strömten mit schrillem, durstigem Geschrei Schwärme von Weibern in verschiedener Bewaffnung, von Hunger und Rachsucht getrieben.
    Kanonen, Musketen, Feuer und Rauch; aber noch immer der tiefe Graben, die dicken Mauern und die acht festen Türme. Ein rasches Auf und Ab in dem wogenden Meere, veran
laßt durch das Stürzen der Verwundeten. Blitzende Waffen, hell lodernde Fackeln, von nassem Stroh dampfende Lastwagen, unverdrossene Arbeit in allen Richtungen an den benachbarten Barrikaden, Geschrei, Musketensalven, Flüche, Tapferkeit sondergleichen, krachendes, grobes Geschütz und Rottenfeuer, und das

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