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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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von dem Wein etwas abzufangen. Die rauhen, unregelmäßigen Pflastersteine, mit denen die Straße überall belegt war und die ausdrücklich dazu bestimmt zu sein schienen, die Annäherung aller lebenden Wesen zu lähmen, hatten die kostbare Flüssigkeit in kleine Lachen abgedämmt, die nach dem Maßstab ihrer Größe von lärmenden Banden umlagert wurden. Dort knieten einige Männer nieder, benutzten die aneinandergefügten hohlen Hände als Löffel und schlürften daraus oder versuchten, den Weibern, die sich über ihre Schultern niederbeugten, zu etwas zu verhelfen, ehe der Wein zwischen ihren Fingern durchgelaufen war. Hier brauchten Männer und Weiber alte Topfscherben als Trinknäpfe oder tauchten die Kopftücher der Frauen ein, um sie in den Mund der Kinder auszuwringen. Die einen bauten kleine Schlammdämme, um den entströmenden Wein aufzuhalten, andere stürzten nach der Weisung von Leuten, die von den Fenstern aus zusahen, da- und dorthin, um die Bächlein abzuschneiden, die eine neue Richtung einschlagen wollten, und wieder andere hielten sich an die mit Hefe gefärbten Faßdauben, deren vom Wein getränkte Teile sie mit besonderem Hochgenuß beleckten und sogar benagten. Man bedurfte keiner Rinnen, um den Wein abzulassen; aber gleichwohl verschwand er und mit ihm so viel Kot, daß kein Gassenkehrer sauberer hätte fegen können.
    Während der Dauer dieses Weinspiels tönte helles Gelächter und der Schall fröhlicher Stimmen aus dem Munde von Männern, Weibern und Kindern durch die Straße. Es ging zwar ziemlich roh, aber auch spaßhaft genug her; denn rasch hatte sich ein geselliges Treiben und eine augenfällige Neigung von seiten eines jeden, sich dem andern anzuschließen, entwickelt, so daß es namentlich unter den Glücklicheren oder
Leichtherzigeren bald zu fröhlichen Umarmungen, Hochlebenlassen, Händedrücken und selbst zu lustigen Tänzen kam, zu denen man sich zu Dutzenden vereinigte. Diese Demonstrationen hörten übrigens ebenso plötzlich wieder auf, wie sie begonnen hatten, sobald der Wein aufgeschlürft war und die rechenartig arbeitenden Finger jede Stelle, wo er besonders massenhaft gestanden, mit der Zeichnung eines Bratrostes versehen hatten. Der Holzhacker setzte die Säge, die er in dem Scheit hatte stecken lassen, wieder in Bewegung; die Frau kehrte zu ihrem auf der Türschwelle abgesetzten heißen Aschentopf zurück, mit dem sie sich selbst oder ihrem Kinde den Schmerz der durchfrorenen Finger und Zehen zu beschwichtigen versuchte; Männer mit nackten Armen, verfilzten Haaren und leichenfahlen Gesichtern, die aus Kellerwohnungen an das winterliche Licht emporgekommen waren, verschwanden wieder in ihren Höhlen, und über den Schauplatz verbreitete sich ein Düster, das ihm weit natürlicher war als der Sonnenschein.
    Es war Rotwein gewesen, und die Stelle, wo er ausgeflossen, war eine enge Straße der Vorstadt Saint Antoine in Paris. Er hatte auch viele Hände, viele Gesichter, manchen nackten Fuß und manchen Holzschuh gefärbt. Die Hände der Holzhacker ließen rote Fingerabdrücke an den Scheiten zurück, und die Stirn des Weibes mit dem Kind war von dem alten Lumpen befleckt, den sie sich wieder um den Kopf gewunden. Die sich an den Faßdauben gelabt hatten, waren um den Mund herum getigert, und ein so beschmierter langer Spaßmacher, auf dessen Stirn eine schmutzige lange Zipfelmütze niederfiel, malte mit seinen in die trübe Weinhefe getauchten Fingern das Wort ›Blut‹ an eine Wand.
    Es sollte eine Zeit kommen, in der auch solcher Wein in den Straßen ausgegossen wurde und sein Rot viele Pflastersteine färbte.
    Als nun auf Saint Antoine die Wolke wieder lagerte, die ein flüchtiger Sonnenblick von seinem Antlitz verdrängt hatte, trat abermals tiefe Finsternis ein; Kälte, Schmutz, Krankheit und Not waren die Gefolgsleute des heiligen Antonius – lauter mächtige Edle, namentlich die Not. Abgezehrte Fabrikarbeiter standen schaudernd an den Ecken, gingen in den Häusern ein und aus, schauten aus jedem Fenster und ließen ihre armseligen Fähnlein im Wind flattern. Die Fabrik, in der sie sich so heruntergearbeitet, hatte nichts gemein mit jener fabelhaften Mühle, die alte Leute jung machte, sondern übte gerade die entgegengesetzte Wirkung; die Kinder hatten alte Gesichter und tiefe Stimmen, und auf jedem war mit stets erneuten tiefen Furchen das Zeichen des Hungers eingegraben. Dies erschien als der vorherrschende Zug. Der Hunger sprach aus den hohen Häusern heraus

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