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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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austilgend, den er aufnahm und darüber hinschmierte. »Warum schreibt Ihr das auf offener Straße? Gibt es denn keinen anderen Platz, um solche Worte hinzuschreiben?«
    Während dieser Vorhaltung ließ er, vielleicht zufällig, vielleicht auch nicht, seine rein gebliebene Hand in die Richtung auf des Spaßmachers Herz fallen. Dieser klopfte mit seiner eigenen darauf, tat einen schnellen Sprung in die Höhe und nahm dann die Haltung eines phantastischen Tanzes an, schleuderte sich seinen beschmutzten Schuh vom Fuß in die Hand und streckte ihn aus. Dieser Spaß machte einen äußerst sinnfälligen und geradezu herausfordernden Eindruck.
    »Zieht ihn nur wieder an, zieht ihn an« sagte der andere. »Laßt Euch Wein geben und laßt's dabei bewenden.«
    Nach dieser Aufforderung wischte er ganz bedächtig seine beschmutzte Hand an dem Rock des Spaßmachers ab, als sei dieser schuld gewesen an der Verunreinigung, kehrte zu seinem Haus zurück und trat in seine Weinstube.
    Der Wirt war ein stiernackiger, martialisch aussehender Mann von dreißig Jahren und mußte wohl gegen Kälte sehr abgehärtet sein, da er trotz dem bitter kalten Tage seinen Rock nicht auf dem Leibe trug, sondern nur über die Schultern gehängt hatte. Seine Hemdärmel waren aufgerollt und seine braunen Arme bis zum Ellenbogen nackt. Auch hatte er keine andere Kopfbedeckung als sein kurzgeschnittenes krauses schwarzes Haar. Er war selbst ein dunkelfarbiger Mann mit grauen Augen und einer breiten, kühnen Nasenbrücke dazwischen. Im ganzen sah er gutmütig, dabei aber auch unversöhnlich aus, und Entschiedenheit des Willens und des Entschlusses war ihm auf die Stirn gezeichnet. Man mußte sich wohl scheuen, ihm entgegenzutreten, wenn er einen schmalen Weg mit einem Abgrund auf jeder Seite hinabstürmte, da diesen Mann nichts zum Ausweichen gebracht haben würde.
    Als er hereinkam, saß seine Frau, Madame Defarge, hinter dem Zahltisch der Gaststube. Sie war eine stämmige Frau von dem Alter ihres Gatten und hatte ein wachsames Augenpaar,
das selten auf etwas hinzuschauen schien; ihre große Hand war mit schweren Ringen geschmückt, und ihr gesetztes, derbes Gesicht verriet große Fassung. Es war etwas an Madame Defarge, was einen kühnlich von ihr behaupten ließ, sie mache in den Rechnungen, die sie aufsetzte, nicht leicht einen Fehler zu ihrem Nachteil. Da sie sehr empfindlich gegen Kälte war, so hatte sie sich in einen Pelz gehüllt und außerdem ein mächtiges hellfarbiges Tuch um den Kopf gebunden, das jedoch nicht bis zu den großen Ohrringen niederreichte. Ihr Strickzeug lag müßig vor ihr, da sie eben damit beschäftigt war, in ihren Zähnen zu stochern, und bei dieser Arbeit mußte ihre linke Hand den rechten Ellenbogen unterstützen. Als ihr Eheherr eintrat, sagte sie nichts, sondern hustete nur ganz leicht. Dies zugleich mit dem Hochziehen ihrer dunkel gezeichneten Augenbrauen um die Breite einer Linie über ihren Zahnstocher deutete dem Gatten an, daß er gut tun werde, sich im Zimmer nach den Gästen umzusehen, da während seiner kurzen Abwesenheit neue Kundschaft eingetreten sei.
    Der Weinwirt ließ seine Augen umherschweifen, bis sie auf einem ältlichen Herrn und einem jungen Frauenzimmer, die in einer Ecke saßen, haften blieben. Es war auch andere Gesellschaft da; ein Paar spielte Karten, ein anderes machte eine Dominopartie, und drei standen neben dem Schenktisch und schlürften haushälterisch den kleinen Rest ihres Weines. Als der Wirt hinter den Tisch trat, hörte er, wie der ältliche Herr mit einem Blick auf die junge Dame sagte:
    »Dies ist unser Mann.«
    ›Was zum Teufel, wollt ihr in diesem Ausschank?‹ sagte Monsieur Defarge zu sich selbst; ›ich kenne euch nicht.‹
    Er stellte sich an, als nehme er keine Notiz von den beiden Fremden, sondern ließ sich mit dem Kundentriumvirat, das neben dem Schenktisch trank, in ein Gespräch ein.
    »Wie geht es, Jacques?« sagte einer von den dreien zu Monsieur Defarge. »Ist aller ausgeflossene Wein schon versorgt?«
    »Bis auf den letzten Tropfen, Jacques«, antwortete Monsieur Defarge.
    Nach diesem Austausch von Vornamen hustete Madame Defarge, die noch immer ihre Zähne mit dem Zahnstocher bearbeitete, wieder ein klein wenig und hob die Brauen um eine Linie höher.
    »Es kommt nicht oft vor«, bemerkte der zweite von den dreien gegen Monsieur Defarge, »daß dieser Haufe armseliger Kreaturen Wein oder überhaupt etwas anderes zu kosten kriegt als Schwarzbrot und Tod. Ist's nicht

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