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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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so, Jacques?«
    »Jawohl, Jacques«, entgegnete Monsieur Defarge.
    Nach diesem abermaligen Vornamenaustausch hustete Madame Defarge, die in ruhiger Gefaßtheit noch immer ihren Zahnstocher handhabte, abermals ein wenig und hob die Brauen um die Breite einer weiteren Linie.
    Nun brachte der letzte von den dreien sein Sprüchlein an, nachdem er zuvor sein leeres Trinkgefäß schmatzend auf den Tisch niedergesetzt hatte.
    »Ach, um so schlimmer. Dieses arme Gesindel hat immer einen bitteren Geschmack im Munde und ein saures Leben, Jacques. Hab ich nicht recht, Jacques?«
    »Zuverlässig, Jacques«, lautete Monsieur Defarges Erwiderung. Dieser dritte Vornamenaustausch war kaum beendigt, als Madame Defarge ihren Zahnstocher beiseite legte, die Augenbrauen scharf in die Höhe zog und sich auf ihrem Stuhl bemerkbar machte.
    »Ach, richtig!« murmelte der Ehemann. »Messieurs, meine Frau!« Die drei Gäste nahmen vor Madame Defarge die Hüte ab und schwenkten sie achtungsvoll. Die dankte für diese Huldigung durch eine Neigung des Kopfes und durch einen ra
schen Blick, den sie über das Kleeblatt hingleiten ließ. Dann schaute sie sich rasch, als geschähe es nur zufällig, in der Gaststube um und nahm endlich mit dem Anschein großer Ruhe und geistiger Fassung ihr Strickzeug auf, in das sie sich bald völlig vertieft hatte.
    »Meine Herren«, sagte ihr Gatte, der sein helles Auge nicht von ihr wandte, »einen guten Tag also. Und das möblierte Zimmer für einen Junggesellen, das ihr zu sehen wünschtet und nach dem ihr fragtet, eh ich hinausging, ist im fünften Stock. Die Treppe dazu findet ihr dort links in dem kleinen Hof (er deutete die Richtung mit der Hand an) neben dem Fenster meiner Wirtschaft. Doch ich erinnere mich – einer von euch ist ja schon da gewesen und kann den Weg zeigen. Adieu, meine Herren!«
    Sie zahlten ihren Wein und entfernten sich. Monsieur Defarges Augen hafteten noch immer auf der strickenden Frau, als der ältliche Herr aus seiner Ecke hervortrat und ihn um Gehör bat.
    »Recht gern, Herr«, versetzte Monsieur Defarge und trat ruhig mit ihm unter die Tür.
    Ihr Gespräch war sehr kurz, aber auch sehr entschieden. Schon bei den ersten Worten fuhr Monsieur Defarge zusammen und wurde sehr aufmerksam. Er hatte keine Minute zugehört, als er nickte und hinausging. Der Herr winkte dann dem jungen Frauenzimmer und verließ mit ihr gleichfalls das Zimmer. Madame Defarge strickte mit hurtigen Fingern und ruhigen Augenbrauen und sah nichts.
    Mr. Jarvis Lorry und Miß Manette trafen, sobald sie die Tür der Weinstube hinter sich geschlossen hatten, in dem Flur, nach dem eben zuvor das Kleeblatt gewiesen worden war, wieder mit Monsieur Defarge zusammen. Der Flur führte zu einem stinkenden kleinen Hinterhof und war der allgemeine Zu
gang zu einer ansehnlichen Häusergruppe, die von einer großen Zahl Menschen bewohnt wurde. Auf dem dunklen, mit Backsteinen gepflasterten Vorplatz zu der finsteren Backsteintreppe ließ sich Monsieur Defarge vor dem Kind seines alten Herrn auf ein Knie nieder und führte ihre Hand an seine Lippen. Die Handlung war zart, wurde aber nichts weniger als zart ausgeführt, und unmittelbar darauf kam eine merkwürdige Veränderung über den Mann. Sein Gesicht zeigte keinen Humor, keine Offenheit mehr und verriet jetzt einen unheimlichen, finsteren, gefährlichen Mann.
    »Es ist sehr hoch und der Zugang etwas beschwerlich. Besser, wir fangen langsam an.« So sprach Monsieur Defarge mit rauher Stimme zu Mr. Lorry, als sie die Treppe hinanzusteigen begannen.
    »Ist er allein?« flüsterte Mr. Lorry.
    »Allein! Gott behüte, wer sollte bei ihm sein?« antwortete der andere ebenso leise.
    »Er ist also immer einsam?«
    »Ja.«
    »Auf sein Verlangen?«
    »Aus Notwendigkeit. Wie er war, als ich ihn sah, nachdem man mich aufgefunden und befragt hatte, ob ich ihn aufnehmen und auf meine Gefahr hin verschwiegen sein wolle – wie er damals war, so ist er auch jetzt.«
    »Wohl sehr verändert.«
    »Verändert!«
    Der Wirt hielt an, um mit seiner Hand gegen die Mauer zu schlagen und einen schweren Fluch vor sich hin zu murmeln. Keine unmittelbare Antwort hätte nur halb so nachdrücklich sein können. Mr. Lorry fühlte sich gedrückter und gedrückter, je höher er mit seinen beiden Begleitern hinaufkam.
    Eine solche Treppe mit ihrem Zubehör in den älteren, über
völkerten Stadtteilen von Paris würde noch heutzutage schlimm genug sein, war aber damals für nicht daran gewöhnte und nicht

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