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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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abgehärtete Sinne etwas Abscheuliches. Jede kleine Wohnung innerhalb der großen Kloake eines einzigen hohen Hauses, das heißt jede Stube, jede Räumlichkeit hinter der nach der gemeinsamen Treppe hinausführenden Tür setzte ihren Haufen Unrat, soweit er nicht zu den Fenstern hinausgeworfen wurde, auf ihrem Vorplatz ab. Die nie zu bewältigende, hoffnungslose Masse von Fäulnis, zu der in solcher Weise der Stoff gegeben war, würde die Luft verpestet haben auch ohne die nicht faßbaren Verunreinigungen, die im Gefolge von Armut und Elend auftreten; beide zusammen aber bildeten ein fast unerträgliches Gemenge. Durch eine solche Atmosphäre und über Haufen giftigen Abfalls führte der Weg. Die Unruhe des eigenen Geistes und die Aufregung des Mädchens, die sich mit jedem Augenblick steigerte, bewogen Mr. Jarvis Lorry zweimal, haltzumachen und auszuruhen. Dies geschah jedesmal vor einem kläglichen Fenstergitter, durch das jedes noch gesund gebliebene Lüftchen zu entweichen und alle verderbten, eklen Dünste einzudringen schienen. Durch die rostigen Eisenstäbe gewahrte man eher mit der Nase als mit den Augen die aufeinanderhockenden Nachbarhäuser, unter denen, soweit man sehen konnte, nichts auf gesundes Leben oder künftiges Heil deutete als die beiden hohen Türme der Kirche von Notre-Dame.
    Endlich war die Höhe der Treppe erreicht, und sie blieben zum dritten Mal stehen. Aber es führte eine steilere und engere Obertreppe noch weiter hinauf, bis man in das Dachgeschoß gelangte. Der Wirt, der immer vorausging und sich auf der Seite hielt, auf der sich Mr. Lorry befand, weil er vielleicht von der jungen Dame befragt zu werden fürchtete, wandte sich hier um, betastete sorgfältig die Taschen des über seinen
Rücken hängenden Rockes und nahm einen Schlüssel heraus.
    »Ist denn die Tür verschlossen, mein Freund?« fragte Mr. Lorry erstaunt.
    »Ja«, lautete Monsieur Defarges grämliche Antwort.
    »Ihr haltet es also für nötig, daß der unglückliche Mann so zurückgezogen lebt?«
    »Ich halte es für nötig, den Schlüssel umzudrehen«, flüsterte ihm Monsieur Defarge mit gerunzelter Stirn ins Ohr.
    »Warum?«
    »Warum? Weil er so lange eingesperrt gelebt hat, daß er sich fürchten, rasend werden, sich selbst in Stücke reißen, sterben oder weiß Gott welchen Schaden nehmen würde, wenn ich seine Tür offenließe.«
    »Ist's möglich!« rief Mr. Lorry.
    »Ob's möglich ist?« entgegnete Defarge mit Bitterkeit. »Jawohl. Wir leben in einer sauberen Welt, wo so etwas möglich ist und wo so viele andere Dinge möglich und nicht nur möglich sind, sondern wirklich geschehen – ja, seht Ihr, unter diesem Himmel jeden Tag wirklich geschehen. Es lebe der Teufel! Laßt uns weitergehen.«
    Dieses Zwiegespräch war in einem so leisen Geflüster geführt worden, daß keine Silbe davon das Ohr der jungen Dame erreichte. Jetzt aber zitterte sie unter einer so gewaltigen Aufregung, und ihr Gesicht zeigte einen Ausdruck von so tiefer Angst, vor allem aber von Furcht und Schrecken, daß Mr. Lorry sich für verpflichtet hielt, ein paar Worte der Ermutigung an sie zu richten.
    »Mut, meine teure Miß! Mut! Zur Sache! Das Schlimmste wird in einem Augenblick vorüber sein; es ist herum, sobald man die Schwelle überschritten hat. Dann beginnt all das Gute, das Ihr ihm bringt, aller Trost und alles Glück, das Ihr ihm
schaffen könnt. Erlaubt unserem guten Freund hier, Euch auf der andern Seite zu unterstützen. Recht so, Freund Defarge! Voran jetzt! Zu unserem Geschäft!«
    Sie stiegen langsam und leise vollends hinan. Die Treppe war kurz und das Ende bald erreicht. Da sie jedoch auf dem halben Wege einen Winkel machte, so wurden sie plötzlich dreier Männer ansichtig, die neben der Tür die Köpfe zusammengesteckt hielten und augenscheinlich durch einige Risse oder Löcher der Mauer in das dahinter befindliche Gemach hineinsahen. Die nahenden Fußtritte bewogen die drei, sich aufzurichten und umzuwenden; es waren die Männer mit dem gleichen Vornamen, die unten Wein getrunken hatten.
    »In der Überraschung Eures Besuches habe ich sie vergessen«, bemerkte Monsieur Defarge erklärend. »Geht jetzt, meine guten Kinder; wir haben hier zu tun.«
    Die drei glitten vorüber und leise die Treppe hinab.
    Da sich auf diesem Boden augenscheinlich keine andere Tür befand und der Wirt, sobald sie allein waren, geradewegs auf diese einzige zuging, so fragte ihn Mr. Lorry flüsternd, aber mit einigem Unwillen:
    »Stellt Ihr denn

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