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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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eine Beglaubigung, vermöge deren ich Paris beliebig verlassen kann. Seht sie an. Ihr findet – Sydney Carton, ein Engländer?«
    Mr. Lorry hielt das Dokument in seiner Hand entfaltet und sah dem anderen ernst ins Gesicht.
    »Nehmt sie für mich in Verwahrung bis morgen. Ich will ihn morgen besuchen, wie Ihr wißt, und da ist's besser, wenn ich sie im Gefängnis nicht bei mir habe.«
    »Warum?«
    »Ich weiß es nicht; aber es ist mir lieber, wenn Ihr sie in Händen behaltet. Nehmt auch das Papier, das Doktor Manette bei sich gehabt hat. Es ist gleichfalls ein Paß, vermöge dessen
er mit seiner Tochter und ihrem Kinde jederzeit Paris und Frankreich verlassen darf. Seht Ihr?«
    »Ja.«
    »Vielleicht hat er sich ihn gestern noch als letzte und äußerste Vorsorge für einen schlimmen Ausgang ausstellen lassen. Von welchem Datum ist er? Doch gleichviel; halten wir uns damit nicht auf, sondern legt ihn zu dem meinigen und dem Eurigen. Gebt jetzt acht! Ich habe stets geglaubt – und erst in den letzten zwei Stunden ist es mir zweifelhaft geworden –, daß er ein solches Papier habe oder haben könnte. Es ist in Kraft, bis es widerrufen wird. Aber der Widerruf kann bald erfolgen, und ich habe Grund zu der Annahme, daß man damit nicht zögern wird.«
    »Sie sind doch nicht in Gefahr?«
    »In großer Gefahr. Es ist zu befürchten, daß sie von Madame Defarge denunziert werden. Ich weiß es aus ihrem eigenen Munde. Ich hörte heute abend dieses Weib Reden führen, die das Schlimmste in Aussicht stellen. Seitdem habe ich meine Zeit benutzt, den Spion aufgesucht und von ihm die Bestätigung erhalten. Er weiß, daß ein Holzhacker, der an der Gefängnismauer wohnt, ganz unter der Leitung der Defarges steht und von Madame Defarge darüber vernommen wurde, wie er Zeuge gewesen sei, daß sie « – er nannte Lucies Namen nie – »den Gefangenen Zeichen und Signale gegeben habe. Es ist leicht vorauszusehen, daß darauf die gewöhnliche Anklage eines Gefängniskomplotts gebaut werden wird, und dann ist nicht nur ihr Leben verwirkt, sondern auch vielleicht das ihres Kindes und ihres Vaters, die man mit ihr an dem Platze gesehen hat. Macht keine so entsetzte Miene; Ihr werdet sie alle retten.«
    »Möge es der Himmel geben, Carton! Aber wie?«
    »Das will ich Euch jetzt sagen. Von Euch hängt alles ab, und
man hätte keinen besseren Mann dafür finden können. Diese neue Anklage wird wahrscheinlich nicht vor übermorgen stattfinden; vielleicht steht es damit zwei oder drei Tage, möglicherweise eine Woche an. Ihr wißt, es ist ein todeswürdiges Verbrechen, Mitleid zu haben mit einem Opfer der Guillotine oder um eines zu trauern. Sie und ihr Vater werden sich unzweifelhaft dieses Verbrechens schuldig machen, und jenes Weib, deren tiefgewurzelter Haß sich gar nicht beschreiben läßt, wartet vielleicht, um ihre Anklage mit diesem neuen Umstand zu verstärken und so sich ihrer Beute doppelt zu versichern. Ihr merkt doch auf?«
    »So achtsam und mit einem solchen Vertrauen in Eure Worte, daß ich für den Augenblick«, er berührte die Lehne am Stuhl des Doktors, »sogar diesen Jammer aus dem Gesicht verliere.«
    »Ihr habt Geld und könnt deshalb die Reise nach der Küste in jeder tunlichen Weise beschleunigen. Zum Aufbruch nach England seid Ihr schon seit einigen Tagen gerüstet. Bestellt morgen früh Eure Pferde, so daß Ihr nachmittags um zwei Uhr aufbrechen könnt.«
    »Es soll geschehen.«
    Carton sprach so voll Eifer und Feuer, daß auch Mr. Lorry dabei warm wurde und die Lebendigkeit eines Jünglings an den Tag legte.
    »Ihr habt ein edles Herz. Sagte ich nicht, daß die Sache keinem wackereren Manne in die Hände gegeben werden könnte? Teilt ihr heute nacht alles mit, was Ihr von der Gefahr wißt, die ihrem Kinde und ihrem Vater droht. Dies müßt Ihr mit besonderem Nachdruck hervorheben; denn sie würde bereitwillig ihr schönes Haupt neben dem ihres Gatten niederlegen.« Er stotterte einen Augenblick und fuhr dann wieder wie früher fort. »Macht sie um ihres Kindes, um ihres Vaters willen auf die Notwendigkeit aufmerksam, Paris so schnell wie mög
lich mit Euch und ihnen zu verlassen. Sagt ihr, es sei die letzte Anordnung ihres Gatten gewesen, und bedeutet ihr noch ferner, daß mehr davon abhänge, als sie zu glauben oder zu hoffen wage. Ihr glaubt doch, daß ihr Vater ungeachtet seines traurigen Zustandes ihr gehorchen wird; was meint Ihr?« – »Ich bin davon überzeugt.«
    »Ich dachte mir das. Laßt im Hofe unten

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