Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
würde wie eine Flucht aussehen, meine Liebe. Wir dürfen sie nicht zu sehr drängen, um nicht Verdacht zu wecken.«
    »Schaut zurück, schaut zurück und seht, ob wir nicht verfolgt werden.«
    »Die Straße ist leer, mein Kind. Bis jetzt kann ich noch nichts von einer Verfolgung wahrnehmen.«
    Häuser zu zweien und dreien kommen an uns vorbei; einzeln stehende Meiereien, verfallene Gebäude, Gerbereien und dergleichen, offenes Land, Alleen mit laublosen Bäumen. Unter uns hartes unebenes Pflaster, zu beiden Seiten tiefer weicher Schmutz. Bisweilen geraten wir, wenn wir den rüttelnden Steinen ausweichen wollen, in spritzenden Schlamm, und bisweilen bleiben wir in Pfützen und Geleisen stecken. Die Qual unserer Ungeduld wird dann so überwältigend, daß wir in wildem Schrecken aussteigen, davonrennen, uns irgendwo verstecken, kurz, alles tun wollen, nur nicht halten.
    Aus dem freien Feld wieder zu verfallenen Gebäuden, einsamen Meierhöfen, Gerbereien und dergleichen, Häusern zu zweien oder dreien und laublosen Alleen. Haben diese Männer uns getäuscht, und bringen sie uns auf einem anderen Weg wieder zurück? Sind wir nicht schon einmal hier gewesen? Gott sei Dank, nein. Ein Dorf. Schaut zurück, schaut zurück und seht, ob wir nicht verfolgt werden. Pst! das Posthaus.
    Unsere vier Pferde werden gemächlich ausgespannt; die Kutsche bleibt träg und ohne Pferde auf der engen Straße stehen, als wolle sie nie wieder fort; langsam treten die neuen Rosse, eines um das andere, in ein sichtbares Dasein; in aller Muße kommen die neuen Postreiter nach und binden gemächlich
neue Knoten in ihre Peitschen; langsam zählen die alten Postillione ihr Geld, verrechnen sich und kommen zu unbefriedigenden Resultaten. Und die ganze Zeit über klopfen unsere gepreßten Herzen mit einer Geschwindigkeit, als wollten sie den schnellsten Galopp der schnellsten Pferde, die je ihre Muskelkraft versuchten, überbieten.
    Endlich sitzen die neuen Postreiter in ihren Sätteln und die alten bleiben zurück. Wir haben das Dorf im Rücken. Es geht bergauf, wieder bergab und weiter in dem nassen Tiefland. Plötzlich geraten die Postillione in einen von lebhaften Gebärden begleiteten Wortwechsel; sie halten die Rosse an, daß sie sich bäumen. Wir werden verfolgt!
    »He, ihr da drinnen im Wagen – hört ihr?«
    »Was soll's?« fragte Mr. Lorry, zum Fenster hinaussehend.
    »Wie viele haben sie gesagt?«
    »Ich verstehe Euch nicht.«
    »Die anderen Postreiter. Wie viele heut unter der Guillotine?«
    »Zweiundfünfzig.«
    »Ich sagte es ja; eine hübsche Zahl. Mein Mitbürger da behauptet, sie hätten von zweiundvierzig gesprochen. Zehn Köpfe mehr sind schon der Mühe wert. Die Guillotine arbeitet wacker; sie gefällt mir. He, vorwärts!«
    Die Nacht bricht herein mit ihrer Dunkelheit. Er bewegt sich stärker, beginnt wieder aufzuleben und unverständliche Worte zu stammeln. Er meint, sie seien noch immer beisammen, nennt ihn bei Namen und fragt ihn, was er in der Hand habe. O gütiger Himmel, erbarme dich unser und steh uns bei! Schaut hinaus, schaut hinaus und seht, ob wir nicht verfolgt werden!
    Der Wind jagt uns nach, die Wolken fliegen uns nach, der Mond segelt hinter uns her, und die ganze wilde Nacht ist hin
ter uns her; aber bis jetzt werden wir von nichts anderem verfolgt.
    Vierzehntes Kapitel
    Ausgestrickt
    Um dieselbe Zeit, als die zweiundfünfzig ihr Schicksal erwarteten, hielt Madame Defarge eine unheildrohende Beratung mit der Rache und Jacques drei von dem revolutionären Schwurgericht ab. Der Platz, wo Madame Defarge sich mit diesen ihren Ministern besprach, war nicht die Weinschenke, sondern der Schuppen des Holzhackers, weiland Steinklopfers. Der nahm an der Konferenz nicht teil, harrte aber in einiger Entfernung als eine viel niedriger stehende Person, die nicht unaufgefordert sprechen und nur eine Ansicht kundgeben durfte, wenn sie darum befragt wurde.
    »Aber unser Defarge ist doch unzweifelhaft ein guter Republikaner, he?« fragte Jacques drei.
    »Es gibt keinen besseren in ganz Frankreich«, versicherte die zungenfertige Rache in schrillen Lauten.
    »Still, meine kleine Rache«, sagte Madame Defarge, mit einem leichten Stirnrunzeln die Hand auf die Lippen ihres Leutnants legend, »laß mich reden! Mein Mann, Mitbürger, ist ein guter Republikaner und ein kühner Mann; er hat sich wohl um die Republik verdient gemacht und besitzt ihr Vertrauen. Aber er hat auch seine Schwächen, und zu diesen gehört seine Anhänglichkeit

Weitere Kostenlose Bücher