Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
Kostümballs zusahen; auch jene einzelne Frau, die mit ihrem Strickzeug dagestanden hatte, strickte fort mit der Beharrlichkeit einer Norne. Das Wasser des Brunnen lief weiter, der rasche Fluß lief weiter, der Tag verlief in den Abend, viel Leben in der Stadt lief dem Tode zu, die Ratten schliefen wieder dicht beisammen in ihren dunklen Löchern, für den Kostümball aber waren die Souperlichter angezündet, und alles ging seinen alten Gang.
    Achtes Kapitel
    Der Herr Marquis auf dem Lande
    Eine schöne Landschaft mit reifem Getreide, aber nicht im Überfluß angebaut. Striche mageren Roggens, wo Hafer hätte stehen sollen, Streifen ärmlicher Bohnen und Erbsen oder geringen Gemüses statt des Weizens. Auch in der seelenlosen Natur wie in den Männern und Weibern, die sie pflegten, die vorherrschende Neigung, nur zu vegetieren, ein kleinmütiger Hang, zu verzagen und hinzuwelken.
    Monsieur le Marquis fuhr in seinem von vier Postpferden und zwei Postknechten geführten Reisewagen, der wohl hätte leichter sein können, einen steilen Berg hinan. Das Rot auf
dem Gesicht von Monsieur le Marquis tat seiner Vornehmheit keinen Abbruch; es kam nicht von innen, sondern wurde durch einen äußerlichen Umstand veranlaßt, über den er keine Gewalt hatte: durch die untergehende Sonne.
    Ihre Strahlen trafen den Reisewagen, als er die Höhe des Berges erreicht hatte, mit so vollem Glanz, daß sein Insasse in Purpur getaucht zu sein schien. »Es wird bald vorüber sein«, sagte Monsieur le Marquis, indem er seine Hände betrachtete.
    In der Tat stand die Sonne schon so tief, daß sie im nächsten Augenblick weg sein konnte. Als dem Rad der schwere Hemmschuh angelegt wurde und der Wagen mit einem Brandgeruch und in einer Wolke von Staub bergab rutschte, schwand die purpurne Glut rasch dahin; die Sonne und der Marquis gingen zusammen hinunter, und beim Abnehmen des Radschuhs war auch kein Hauch von Rot mehr vorhanden.
    Dagegen war noch da eine unebene Landschaft, schön und offen, ein kleines Dorf am Fuße des Berges, jenseits wieder eine Steigung, ein Kirchturm, eine Windmühle, ein Forst für die Jagd und ein Felsen mit einer Feste darauf, die als Gefängnis diente. Der Marquis überschaute diese im Abendschatten mehr und mehr sich verdüsternden Gegenstände mit der Miene eines Mannes, der sich seinem Heimwesen nähert.
    Das Dorf hatte seine einzige ärmliche Straße mit einem ärmlichen Brauhaus, einer ärmlichen Gerberei, einer ärmlichen Schenke, einem ärmlichen Poststall, einem ärmlichen Brunnen, kurz mit lauter ärmlichen Zutaten. Aber auch die Bevölkerung war arm, und viele von den Einwohnern saßen vor den Türen und schnitzelten Zwiebeln oder etwas Ähnliches zum Nachtessen, während andere an dem Brunnen standen und Blätter, Gras und sonstige kleine Erderzeugnisse wuschen, die sich essen ließen. Auch fehlte es nicht an ausdrucksvollen Zeichen für den Grund ihrer Verarmung, denn feierliche Inschrif
ten, die anzeigten, daß man hier die Staatssteuer, die Kirchensteuer, die grundherrliche Steuer, die Gemeindeabgaben und die Akzise einziehe, waren in so reichlicher Anzahl vorhanden, daß man sich nur wundern mußte, warum das Dörflein überhaupt noch unverschluckt dastand.
    Auch einige Kinder ließen sich blicken, aber keine Hunde. Was die Männer und Weiber betraf, so hatten sie im Hinblick auf ihre irdischen Verhältnisse wenig Wahl – entweder drunten im Dörflein hinter der Mühle ein Hungerleben oder droben auf dem Felsen im Gefängnis Haft und Tod.
    Durch einen Vorreiter und das Knallen der Peitschen angekündigt, die wie hurtige Schlangen über den Köpfen der Postknechte durch die Abendluft zuckten, fuhr Monsieur le Marquis, wie von den Furien begleitet, mit seinem Reisewagen am Tore des Posthofes vor. Dieser befand sich in der Nähe des Brunnens, und die Bauernweiber unterbrachen ihre Arbeit, um nach ihm hinzusehen. Auch er schaute zu ihnen hinüber und bemerkte auf allen Gesichtern das Gepräge jener Magerkeit, durch die die Franzosen bei den Engländern ein Jahrhundert lang sprichwörtlich geworden sind.
    Monsieur le Marquis richtete eben seine Blicke auf die unterwürfigen Gestalten, die sich vor ihm beugten, wie er selbst bei Hofe vor Monseigneur sich gebeugt hatte, nur mit dem Unterschied, daß jene nur zu leiden, aber keine Gnaden auszuteilen hatten, als sich ein ergrauter Straßenarbeiter der Gruppe anschloß.
    »Bring mir den Kerl dort her«, rief der Marquis zu dem Vorreiter.
    Der Kerl wurde, die

Weitere Kostenlose Bücher