Eine Geschichte aus zwei Städten
ausholen, um unmittelbar darauf abermals atemlos zu werden.
Das Portal schlug hinter ihm zu, und Monsieur le Marquis schritt durch eine Halle, die grimmig starrte von alten Sauspießen, Hirschfängern und Weidmessern, noch grimmiger aber von gewissen schweren Reitgerten und Reitpeitschen, deren Gewicht mancher Bauer vor seinem Hingang zu seinem Wohltäter Tod bitter empfunden hatte, wenn sein Herr zornig war.
Die größeren Gelasse meidend, die dunkel und zur Nacht geschlossen waren, folgte Monsieur le Marquis seinem Fackelträger eine Treppe hinan, zu einer Tür nach einem Korridor. Sie ging auf und gewährte ihm den Zugang zu seiner gewöhnlichen Wohnung, die aus drei Gemächern, seinem Schlafzimmer und zwei anderen, bestand. Hochgewölbte Räume mit kalten Fußböden, die mit Teppichen belegt waren, große Feuerböcke auf den Herden für das Brennholz im Winter und aller Luxus, der für den Prunk eines Marquis in einem an Luxus gewöhnten Lande und Zeitalter paßte. Die Mode des vorletzten Ludwig, von der Linie, die nicht zu unterbrechen war – des vierzehnten Ludwig –, zeichnete sich durch ihr reiches Mö
belwerk aus, in das jedoch Abwechslung kam durch viele Gegenstände, die dazu dienten, alle Blätter aus der Geschichte Frankreichs zu illustrieren.
Im dritten Gemach, einem runden Zimmer in einem der vier löschhutbedachten Türme des Schlosses, stand für zwei eine Abendtafel gedeckt. Es war ein kleines, hohes Zimmer mit weit geöffnetem Fenster und geschlossenen Jalousien, so daß die Nacht nur in schmalen schwarzen Streifen hereindringen konnte.
»Mein Neffe«, sagte der Marquis mit einem Blick auf die Vorbereitungen zum Nachtessen, »ist, wie ich höre, noch nicht angekommen.«
Nein; man hatte ihn mit Monseigneur erwartet.
»Es ist nicht wahrscheinlich, daß er heute noch eintreffen wird. Doch laßt den Tisch immerhin, wie er ist; ich werde in einer Viertelstunde bereit sein.«
Nach einer Viertelstunde war Monseigneur bereit und setzte sich zu seinem reichen, gewählten Mahle nieder. Sein Stuhl stand dem Fenster gegenüber. Er hatte sich Suppe geschöpft und wollte eben sein Glas Bordeaux an die Lippen führen, als er es wieder niedersetzte.
»Was ist dies?« fragte er ruhig, aufmerksam in die schwarzen Streifen der Nacht hinausschauend.
»Monseigneur, was?«
»Vor dem Laden draußen. Öffnet die Jalousien.«
Es geschah.
»Nun?«
»Monseigneur, es ist nichts. Ich kann nichts wahrnehmen als die Bäume und die Nacht.«
Der Diener, der sprach, hatte die Läden weit aufgeworfen und in die leere Finsternis hinausgeschaut; er stand jetzt mit dieser Leere im Hintergrunde da und harrte weiterer Befehle.
»Gut«, sagte der durch nichts zu störende Gebieter. »Du kannst wieder zumachen.«
Auch dies geschah, und der Marquis fuhr in seinem Nachtessen fort. Er mochte etwa zur Hälfte fertig sein, als er wieder mit seinem Glas in der Hand anhielt. Er hörte Rädergerassel, das rasch immer näher kam und zuletzt vor dem Schloß haltmachte.
»Fragt, wer angekommen ist.«
Es war der Neffe von Monseigneur. Der Marquis hatte früh am Nachmittag nur einen Vorsprung von ein paar Wegstunden vor ihm; wie scharf aber auch der Neffe fuhr, es war ihm doch nicht gelungen, Monseigneur einzuholen. In den Posthäusern hörte er, daß sein Onkel schon dagewesen sei.
Man sollte ihm sagen, befahl Monseigneur, daß hier das Nachtessen seiner harrte und er gebeten sei, hereinzukommen. Nach einer Weile trat er ein. Es war der Mann, den man in England als Charles Darnay kannte.
Monseigneur empfing ihn auf höfliche Weise, ohne ihm jedoch die Hand zu reichen.
»Ihr habt gestern Paris verlassen?« sagte der Neffe zu Monseigneur, als er seinen Sitz am Tische einnahm.
»Ja, und Ihr?«
»Ich komme direkt.«
»Von London?«
»Ja.«
»Ihr habt lange gebraucht«, sagte der Marquis lächelnd.
»Im Gegenteil, ich komme direkt.«
»Entschuldigt, ich meine nicht die Zeit, die Ihr zur Reise brauchtet; es währte so lange, bis Ihr Euch zu der Reise entschlosset.«
»Ich wurde abgehalten durch …«, der Neffe zögerte einen Augenblick in seiner Antwort, »verschiedene Geschäfte.«
»Ohne Zweifel«, sagte der höfliche Onkel.
Solange ein Diener da war, fiel kein weiteres Wort zwischen ihnen; als sie aber nach dem Kaffee allein beisammensaßen, begann der Neffe, der nach dem Onkel hinsah und den Augen des maskenähnlichen schönen Gesichts begegnete, die Unterhaltung.
»Wie Ihr Euch denken könnt, bin ich zurückgekommen,
Weitere Kostenlose Bücher