Eine Geschichte aus zwei Städten
hinstarrend und die Hände über dem Kopf zusammenschlagend. »Tot!«
Die Leute drängten sich näher heran und schauten auf Monsieur le Marquis. Und in den vielen Augen, die auf ihm hafteten, gab sich nur der Ausdruck der Hast und der Aufmerksamkeit kund; nirgends ein Zeichen von Drohung oder Zorn. Auch wurde nicht gesprochen; nach dem ersten Schrei war das Volk verstummt. Die Stimme des unterwürfigen Mannes, der geantwortet hatte, klang matt und zahm in ihrer äußersten Untertänigkeit. Monsieur le Marquis ließ die Blicke über die Menge hingleiten, als bestünde sie nur aus Ratten, die aus ihren Löchern hervorgekommen wären.
Er nahm seine Börse heraus.
»Es ist verwunderlich«, sagte er, »daß die Leute so wenig auf sich selbst und ihre Kinder achtgeben. Eines oder das andere von euch ist einem immer im Weg. Wie weiß ich, ob nicht meine Pferde Schaden genommen haben? Sieh nach! Gib ihm das!«
Er warf dem Kammerdiener ein Goldstück zu, und alle Köpfe streckten sich vorwärts, um es allen Augen möglich zu machen, zu sehen, wo es niederfiel. Abermals rief der lange Mann in fast unirdischem Tone: »Tot!«
Er wurde unterbrochen durch einen rasch herbeikommenden anderen Mann, dem der Haufen Platz machte. Als der unglückliche Vater ihn erkannte, fiel er ihm um den Hals, weinte und schluchzte und deutete nach dem Brunnen, wo einige Weiber sich über dem regungslosen Bündel niederbeugten und eifrig sich damit zu schaffen machten. Auch sie verhielten sich so still wie die Männer.
»Ich weiß alles, weiß alles«, sagte der letzte Ankömmling. »Sei ein Mann, Gaspard! Für die arme kleine Puppe da ist es besser, so zu sterben, als zu leben. Sie ging ohne Schmerz aus der Welt; hätte sie auch nur eine Stunde so glücklich in ihr leben können?«
»Ah, Ihr seid ein Philosoph«, sagte der Marquis lächelnd. »Wie heißt Ihr?«
»Defarge.«
»Euer Gewerbe?«
»Weinhändler.«
»Nehmt dies da, Philosoph und Weinhändler«, sagte der Marquis, indem er auch ihm ein Goldstück hinwarf, »und tut Euch damit gütlich. Wie stehts mit den Pferden – alles in Ordnung?«
Ohne die Menge eines weiteren Blickes zu würdigen, lehnte sich Monsieur le Marquis auf seinem Sitz zurück und wollte
eben mit der Miene eines Mannes, der zufällig etwas zerbrochen und als zahlungsfähige Person den Preis dafür erlegt hat, davonfahren, als seine Ruhe plötzlich durch ein Goldstück gestört wurde, das in den Wagen hereinflog und klingend zu Boden fiel.
»Halt!« sagte Monsieur le Marquis. »Haltet die Pferde! Wer hat geworfen?«
Er blickte zu der Stelle zurück, wo einen Augenblick vorher Defarge, der Weinhändler, gestanden hatte, sah aber nur noch den unglücklichen Vater, der, sein Antlitz im Schmutz, am Boden lag, und neben ihm die Gestalt eines braunen stämmigen Weibes, das ihr Strickzeug in der Hand hatte.
»Ihr Hundepack!« sagte der Marquis ruhig und mit unverändertem Gesichtsausdruck, bis auf die bekannten Stellen an seiner Nase, »wie gern würde ich über jeden von euch wegfahren, um euch von der Erde zu vertilgen. Wüßt ich, welcher Schuft in den Wagen warf und hätte ich ihn nahe genug, so ließe ich ihn unter die Räder schleudern.«
Die Lage des Volkes war so gedrückt und es hätte so viel von dem erleben müssen, was ein solcher Mann innerhalb und außerhalb des Gesetzes mit ihm anfangen durfte, daß keine Stimme, keine Hand, ja nicht einmal ein Auge sich erhob. Unter den Männern wenigstens nicht. Nur das Weib mit dem Strickzeug warf einen festen Blick auf den Marquis. Es war aber unter seiner Würde, das zu bemerken; sein Auge glitt verächtlich hin über sie und über die anderen Ratten; dann lehnte er sich wieder in seinen Sitz zurück und gab Befehl, weiterzufahren.
Es wurde weitergefahren, und andere Karossen kamen in rascher Folge vorbeigesaust; der Minister, der Staatsprojektemacher, der Generalpächter, der Doktor, der Advokat, der Geistliche, die große Oper, die Komödie, kurz der ganze Kostüm
ball in seinem bunten Durcheinander wirbelte vorbei. Die Ratten krochen aus ihren Löchern und sahen stundenlang zu; Soldaten und Polizeidiener gingen oft zwischen ihnen und dem Schauspiel hin und her und bildeten Schranken, hinter die die Ratten zurück mußten. Der Vater hatte längst sein Bündel aufgenommen und ein Versteck dafür gesucht, während die Weiber, die das Bündel behütet hatten, als es auf den Brunnenfliesen lag, noch dasaßen und dem Rinnen des Wassers und dem Rollen des
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