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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Dort wandte er sich, kehrte zurück, erreichte im Laufe der Zeit abermals das Heiligtum mit den dienenden Schokoladegeistern, ließ die Türen schließen und wurde nicht mehr gesehen.
    Die Schaustellung war vorüber, das Fächeln in der Luft wurde zu einem kleinen Sturm, und die kostbaren Glöcklein klingelten die Treppen hinunter. Bald war von dem ganzen Gedränge nur noch eine einzige Person übrig, die, den Hut unter dem Arm und die Schnupftabakdose in der Hand, an den Spiegeln vorbei, sich langsam gleichfalls nach dem Ausgang hin bewegte.
    »Hol dich der Teufel!« sagte diese, indem sie an der letzten Tür haltmachte und sich gegen das Heiligtum umdrehte. Zugleich schüttelte sie den Schnupftabak von ihren Fingern, als sei er der Staub ihrer Füße, und schritt ruhig die Treppe hinab.
    Die Person war ein Mann von ungefähr sechzig, schön gekleidet, von stolzem Wesen und mit einem Gesicht, das einer feinen Maske glich. Ein Gesicht von durchscheinender Blässe, jeder Zug darin klar bestimmt, und voller Ausdruck. Die sonst schön geformte Nase war an der Spitze der Nasenlöcher etwas eingedrückt, und in diese beiden Gruben schien das einzige Wandelbare, das in dem Gesicht je bemerkt wurde, sich geflüchtet zu haben. Sie wechselten nämlich bisweilen die Farbe und zeigten gelegentlich eine Ausdehnung und ein Zusammenziehen, als ob sie leicht pulsierten; dadurch verliehen sie den Zügen einen Ausdruck von Tücke und Grausamkeit. Bei aufmerksamer Prüfung konnte man wahrnehmen, wie zur Vollendung dieses Ausdrucks namentlich auch der Umstand mitwirkte, daß die Linien des Mundes und der Augenbogen viel zu dünn und waagrecht waren; gleichwohl konnte nach dem
Gesamteindruck das Gesicht als schön und merkwürdig bezeichnet werden.
    Sein Inhaber ging die Treppe nach dem Hofe hinunter, stieg in seinen Wagen und fuhr davon. Bei dem Empfang hatten nur wenige mit ihm gesprochen; er hatte beiseite gestanden, und Monseigneur hätte wohl in seinem Benehmen gegen ihn ein wenig wärmer sein können. Dem Anschein nach schien es ihm ein angenehmes Schauspiel zu gewähren, wie das gemeine Volk vor seinen Pferden auseinanderstob und oft kaum dem Niedergetretenwerden entrann. Der Kutscher hieb auf seine Tiere los, als griffe er einen Feind an; aber die wütende Rücksichtslosigkeit des Dieners brachte nicht die mindeste Veränderung hervor in dem Gesicht oder an den Lippen seines Herrn. Bisweilen wurde selbst in jener tauben Stadt und in jener stummen Zeit die Klage laut, daß in den engen Straßen ohne Fußwege der wilde adelige Brauch des raschen Fahrens das gemeine Volk gefährde und oft in barbarischer Weise verstümmelte; aber wenige kümmerten sich darum so viel, um zum zweiten Mal daran zu denken, und so überließ man es auch hier wie in allem andern der Canaille, sich aus ihrer Bedrängnis zu helfen, so gut sie konnte. In tollem Rasseln und einer rohen Unbekümmertheit, die man in unseren Tagen unbegreiflich fände, jagte der Wagen durch die Straßen und um die Ecken, während die Weiber schreiend davor ausrissen und Männer wechselseitig sich oder Kinder aus dem Wege zerrten. Endlich fegte er um einen Eckbrunnen, eines der Räder hüpfte leicht auf, und alsbald brach aus vielen Kehlen ein lautes Geschrei los, vor dem die Rosse stampfend und ausschlagend stehenblieben.
    Ohne diesen Zwischenfall würde der Wagen wahrscheinlich nicht haltgemacht haben. Wagen fuhren so oft weiter und ließen Verwundete hinter sich – warum auch nicht? Aber der er
schreckte Kammerdiener war hurtig abgestiegen, und zwanzig Hände hatten die Pferde bei den Zügeln gefaßt.
    »Was hat's gegeben?« fragte Monsieur, ruhig hinausschauend.
    Ein langer Mann in einer Zipfelmütze hatte unter den Pferdehufen ein Bündel hervorgelangt und auf die Brunnenfliesen gelegt; er kniete davor im Schlamm und in der Nässe und heulte wie ein wildes Tier.
    »Verzeihung, Monsieur le Marquis«, sagte ein zerlumpter, unterwürfiger Mann, »es ist ein Kind.«
    »Warum macht er diesen abscheulichen Lärm? Ist es sein Kind?«
    »Entschuldigt, Monsieur le Marquis – leider – ja.«
    Der Brunnen stand etwas abseits, denn die Straße mündete hier in einen Platz ein, der seine zehn oder zwölf Schritte im Geviert maß. Als der lange Mann plötzlich vom Boden aufsprang und auf den Wagen zugelaufen kam, fuhr Monsieur le Marquis für einen Augenblick mit der Hand an seinen Degenknauf.
    »Umgebracht!« schrie der Mann in wilder Verzweiflung, aus hohlen Augen nach ihm

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