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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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um den Zweck zu verfolgen, der mich wegberief. Er brachte mich in große und unerwartete Gefahr; aber es ist ein heiliges Ziel, und wenn es mich das Leben gekostet hätte, so würde ich mich, hoffe ich, wie ein Mann in den Tod gefunden haben.«
    »Nicht in den Tod«, sagte der Onkel; »es ist nicht notwendig, zu sagen, in den Tod.«
    »Ich zweifle«, entgegnete der Neffe, »ob Ihr's der Mühe für wert gehalten haben würdet, mich zurückzuhalten, wenn es mich wirklich bis an den äußersten Rand des Grabes geführt hätte.«
    Die Nasengruben und das Längerwerden der feinen geraden Linien in dem grausamen Gesicht nahmen sich bei diesen Worten unheilverkündend aus. Der Onkel machte eine anmutige Gebärde des Protestes, die aber so augenfällig das Ergebnis einer guten Erziehung war, daß sie nicht beruhigte. »In der Tat«, fuhr der Neffe fort, »soviel ich in Erfahrung brachte, habt Ihr ausdrücklich darauf hingearbeitet, daß die verdächtigen Umstände, die gegen mich sprachen, noch verdächtiger erschienen.«
    »Nein, nein, nein«, sagte der Onkel scherzhaft.
    »Wie dem übrigens sein mag«, nahm der Neffe das Gespräch wieder auf, indem er den Marquis mit tiefem Mißtrauen betrachtete, »ich weiß, daß Eure Diplomatie mir durch alle Mittel Einhalt tun und dabei nicht wählerisch sein würde.«
    »Mein Freund, ich hab Euch das zum voraus erklärt«, sagte
der Onkel mit einem feinen Pulsieren der zwei Nasengruben. »Habt die Güte, Euch zu erinnern, daß ich selbst Euch das längst gesagt habe.«
    »Ich erinnere mich.«
    »Danke schön«, sagte der Marquis in sehr süßem Tone.
    Der Ton klang noch eine Weile in der Luft, fast wie der eines Musikinstruments.
    »Wirklich«, fuhr der Neffe fort, »es ist nur Euer schlimmes und mein gutes Geschick, was mich hier vor einem französischen Gefängnis bewahrt hat.«
    »Ich verstehe das nicht ganz«, versetzte der Onkel, seinen Kaffee schlürfend. »Darf ich um eine Erklärung bitten?«
    »Ich glaube, wenn Ihr nicht bei Hof in Ungnade wäret und nicht schon seit Jahren diese Wolke Euch umschattete, so würde längst ein lettre de cachet mich für unbestimmte Zeit in irgendeine Festung geschickt haben.«
    »Es ist möglich«, sagte der Onkel mit großer Ruhe. »Um der Ehre der Familie willen hätte ich mich wohl entschließen können, Euch bis zu diesem Grade zu behelligen. Ich bitte, entschuldigt mich.«
    »Ich bemerke, daß zum Glück der vorgestrige Empfangstag wie gewöhnlich kalt war«, entgegnete der Neffe.
    »Ich würde nicht sagen, zum Glück«, erwiderte der Onkel mit größter Höflichkeit, »denn ich wüßte das nicht so gewiß. Eine gute Gelegenheit zum Nachdenken, unterstützt von den Vorteilen der Einsamkeit, dürfte auf Euer Schicksal einen weit günstigeren Einfluß üben, als dies Euer sonstiges Handeln tun kann. Doch ist es nutzlos, diese Frage zu verhandeln. Ich bin, wie Ihr sagt, im Nachteil. Jene kleinen Korrektionsmittel, die milden Unterstützungen der Macht und Ehre von Familien, geringe Gunstbezeigungen, die Euch so ungelegen kommen könnten, sind jetzt nur noch durch Einfluß und Zudringlich
keit zu erwirken. So viele suchen darum nach, und sie werden verhältnismäßig so wenigen erteilt. Früher war es anders, aber in allen solchen Dingen hat sich Frankreich sehr verschlechtert. Unsere Vorfahren besaßen vor nicht gar langer Zeit, dem Pöbel ihrer Umgebung gegenüber, das Recht über Leben und Tod. Aus diesem Zimmer sind viele solche Galgenstricke hinausgeschleppt worden, um gehängt zu werden, und wir selbst können uns noch erinnern, daß in dem nächsten Gemach, meinem Schlafzimmer, ein Kerl auf der Stelle erdolcht wurde, weil er sich unverschämt empfindlich zeigte im Hinblick auf seine Tochter – seine Tochter! Wir haben viele Vorrechte verloren; eine neue Philosophie ist in Mode gekommen, und die Behauptung unserer Stellung könnte heutzutage – ich gehe nicht so weit, zu sagen, ›würde‹, sondern nur ›könnte‹ – uns in ernstliche Ungelegenheiten bringen. Alles sehr schlimm, sehr schlimm!«
    Der Marquis nahm eine vornehm kleine Prise Tabak und schüttelte den Kopf, mit aller schicklichen Eleganz an einem Lande verzweifelnd, das ihm diese großen Mittel der Wiedergeburt vorenthielt.
    »Wir haben sowohl in alten Zeiten wie in der neuen unsere Stellung in einer Weise behauptet«, versetzte der Neffe düster, »daß ich glaube, unser Name ist mehr verabscheut als irgendeiner in Frankreich.«
    »Wollen wir es hoffen«, sagte der

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