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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Brunnen und dem Straßenarbeiter, der mit seiner blauen Mütze nach der Kette unter dem Wagen deutete. Der Brunnen erinnerte ihn an den zu Paris, auf dessen Fliesen das kleine Bündel lag, an die Weiber, die sich darüberbeugten, und an den langen Mann mit den gerungenen Händen, der ›Tot!‹ rief.
    »Ich bin jetzt abgekühlt«, sagte Monsieur le Marquis, »und kann zu Bette gehen.«
    Auf dem großen Kamin blieb nur ein einziges Licht brennen. Er ließ die dünnen Gazevorhänge um sich her niederfallen und hörte, als er sich zum Schlafen anschickte, die Nacht mit einem langen Seufzer ihr Schweigen brechen.
    Die steinernen Gesichter an den Außenmauern starrten blind drei schläfrige Stunden in die Nacht hinaus. Drei schläfrige Stunden rasselten die Pferde in den Ställen an ihren Krippen; die Hunde bellten, und die Eule machte einen Lärm, der nur sehr wenig Ähnlichkeit mit dem Geräusch hatte, das die Dichter den Eulen zuzuschreiben pflegen. Es ist überhaupt der hartnäckige Brauch solcher Geschöpfe, kaum je das zu sagen, was man ihnen andichtet.
    Drei schläfrige Stunden starrten die steinernen Gesichter des Schlosses, Löwen sowohl wie Menschen, blind in die Nacht hinaus. Tiefes Dunkel lag auf der ganzen Landschaft; das tiefe Dunkel verstärkte noch die eigene Stille damit, daß es den Staub auf allen Wegen zur Ruhe brachte. Mit dem Friedhof war es so weit gekommen, daß seine kleinen ärmlichen Rasenhügel sich nicht mehr unterscheiden ließen, und die Figur hätte vom Kreuz heruntersteigen können, ohne daß man es merkte. Ringsum im Dorf lagen die Steuereinnehmer und die Besteuerten in tiefem Schlaf. Träumend vielleicht von Banketten, wie der Hungernde so gern tut, und von Ruhe und Bequemlichkeit, wie man das von dem gehetzten Sklaven und dem Zug
ochsen erwarten kann, schliefen die ausgemergelten Einwohner gesund und waren gesättigt und befreit.
    Drei dunkle Stunden lief der Brunnen im Dorf ungesehen und ungehört, und die Fontäne im Schloß plätscherte ungesehen und ungehört – beide verrinnend wie die Minuten, die aus dem Born der Zeit fielen. Dann begannen die grauen Wasser beider im Licht ein gespenstisches Aussehen anzunehmen, und die Augen der Steingesichter an dem Schloß taten sich auf.
    Heller und heller ward es, bis die Sonne die Wipfel der stillen Bäume berührte und ihren Strahlenglanz über den Berg ausgoß. In der Glut schienen die Wasser der Schloßfontäne sich in Blut zu verwandeln und die steinernen Gesichter sich purpurn zu röten. Laut und lebhaft klang der Gesang der Vögel, und auf dem verwitterten Sims vor dem großen Fenster des Schlafzimmers von Monsieur le Marquis sang ein kleines Vögelchen mit Macht sein süßestes Lied. Darüber schien das nächste Steingesicht erstaunt die Augen aufzureißen und mit offenem Mund und niedergesunkener Kinnlade sich zu entsetzen.
    Die Sonne war voll aufgegangen, und im Dorfe wurde es lebendig. Die Fenster taten sich auf, wurmstichige Türen wurden entriegelt, und fröstelnd kamen Leute heraus in die noch kühle, frische Luft. Dann begann die selten erleichterte Mühe des Tages unter den Dorfbewohnern. Einige gingen an den Brunnen, andere aufs Feld hinaus; Männer und Weiber hier, um zu graben und zu schaufeln, Männer und Weiber dort, um nach dem ärmlichen Vieh zu sehen und magere Kühe hinauszutreiben auf eine Weide, wie sie sich eben an den Wegrainen finden ließ. In der Kirche und vor dem Kreuz eine oder zwei kniende Gestalten und ihrem Gebet zuhörend die Leitkuh, die in dem Unkraut um das Kreuz her ein Frühstück zusammenzubringen suchte.
    Das Schloß erwachte, wie es seiner Würde ziemte, später; aber es erwachte allmählich und sicher. Zuerst röteten sich die einsamen Sauspieße und Weidmesser wie vor alters und blitzten dann blank im Morgensonnenschein. Dann gingen Türen und Fenster auf; die Pferde in den Ställen sahen über ihre Schultern nach dem Licht und der Frische zurück, die zur Tür hereinströmten; Blätter funkelten und rauschten vor den eisernen Fenstergittern; Hunde zerrten mit Ungestüm an ihren Ketten und wollten losgelassen werden.
    Alle diese unbedeutenden Kleinigkeiten gehörten dem Alltag des Lebens und dem wiederkehrenden Morgen an. Aber doch wohl nicht auch das Läuten der großen Glocke auf dem Schloß, das Aufundabrennen auf den Treppen, das Dahinhuschen von Personen auf der Terrasse, das Stiefeln und Stampfen da, dort und überall oder das hurtige Satteln von Pferden und das Fortreiten?
    Welche Winde

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