Eine Geschichte aus zwei Städten
schlechter wird's werden, und ich werde noch tiefer sinken.«
Er stützte den Ellenbogen auf den Tisch und bedeckte die Augen mit seiner Hand. Der Tisch zitterte in dem Schweigen, das nun folgte.
Sie hatte ihn nie in einer so weichen Stimmung gesehen und war davon sehr bedrückt. Er bemerkte es, ohne daß er sie ansah, und sagte:
»Ich bitte, verzeiht mir, Miß Manette! Mich quält etwas, was ich Euch sagen möchte. Wollt Ihr mich anhören?«
»Wenn es Euch erleichtert, ja. Wie sehr würde ich mich freuen, Mr. Carton, wenn ich Euch dadurch glücklicher machen könnte!«
»Gott segne Euch für Euer zartes Mitleid!«
Nach einer kleinen Weile enthüllte er sein Gesicht und fuhr mit festerer Stimme fort:
»Hört mich ohne Scheu an und schreckt nicht zurück vor meinen Worten. Ich gleiche einem Menschen, der jung gestorben ist. Mein ganzes Leben kann als gewesen betrachtet werden.«
»Nein, Mr. Carton. Ich bin überzeugt, daß der beste Teil davon noch vorhanden ist. Gewiß, Ihr könnt Euer selbst noch viel, viel würdiger werden.«
»Sagt Euer , Miß Manette, und obschon ich es besser weiß, obschon ich das Geheimnis meines elenden Herzens besser kenne, so werde ich es nie vergessen.«
Sie wurde blaß und zitterte. Er half ihr aber mit seiner starren Verzweiflung an sich selbst, durch die das Gespräch einen sonderbaren und unwirklichen Charakter erhielt.
»Wenn es möglich gewesen wäre, daß Ihr die Liebe des Mannes hättet erwidern können, den Ihr vor Euch seht – eines armseligen, mißbrauchten, dem Trunk ergebenen Geschöpfes, wie Ihr es vor Euch seht –, so würde er doch selbst am Tag und in der Stunde seines Glücks sich bewußt geblieben sein, daß er nur Elend, Leid und Reue über Euch bringen könnte, daß er Euch entehren und mit sich in den Staub ziehen würde. Ich weiß wohl, daß Ihr kein zartes Gefühl für mich hegen könnt, und verlange es auch nicht; ja, ich danke sogar Gott dafür, daß es nicht sein kann.«
»Kann ich nicht auch ohne das zu Eurer Rettung beitragen, Mr. Carton? Kann ich – ich bitte nochmals um Verzeihung – Euch nicht zurückrufen auf einen besseren Weg? Sollte es mir denn in keiner Weise möglich sein, Euer Vertrauen zu vergelten? Ich weiß, es ist ein Vertrauen«, fügte sie nach einigem Stocken bescheiden und mit Tränen im Auge hinzu, »ich weiß, Ihr würdet dies zu keinem andern sagen. Kann ich es nicht zu Eurem eigenen Besten wenden, Mr. Carton?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein. Nein, Miß Manette, es ist nicht mehr möglich. Wenn Ihr mir noch ein wenig weiter zuhören wollt, so ist alles geschehen, was Ihr je für mich tun könnt. Ich möchte Euch wissen lassen, daß Ihr der letzte Traum meiner Seele gewesen seid. Trotz meiner Entwürdigung bin ich doch nicht so ganz verkommen, daß nicht Euer und Eures Vaters Anblick sowie der Anblick dieses Heims, das Ihr geschaffen habt, alte Schatten, die ich längst für gestorben hielt, wieder in mir wachgerufen hätte. Seit ich Euch kennenlernte, quälte mich eine Reue, die mir sonst unmöglich erschienen wäre, und ich hörte in mir alte flüsternde Stimmen mich drängen, die ich auf immer für verstummt hielt. Es kamen mir längst entschwundene Gedanken von neuem Streben, einem neuen Anfang, von einem Ab
schütteln der Trägheit und Sinnlichkeit, von einer Wiederaufnahme des aufgegebenen Kampfes. Ein Traum, alles ein Traum, der mit nichts endet und den Schläfer läßt, wo er sich niederlegte; aber ich möchte Euch gestehen, daß Ihr ihn eingeflößt habt!«
»Ist nichts davon zurückgeblieben? Oh, Mr. Carton, besinnt Euch! Versucht es noch einmal!«
»Nein, Miß Manette; ich habe dabei stets empfunden, welch ein unwürdiges Geschöpf ich bin. Und doch gab ich der Schwäche nach – und sie hat noch immer Macht über mich –, zu wünschen, daß Ihr erfahren möchtet, mit welch plötzlicher Gewalt Ihr den Aschenhaufen, der ich bin, in helle Lohe umgewandelt habt – freilich nur in ein Feuer, das seiner Wesenheit nach von der meinigen unzertrennlich war und nicht zünden, nicht leuchten, kurz, keinen Dienst leisten, sondern nur müßig brennen konnte.«
»Wenn es mein Mißgeschick wollte, Mr. Carton, daß ich Euch noch unglücklicher machen mußte, als Ihr waret, ehe Ihr mich kennenlerntet …«
»Sprecht nicht so, Miß Manette; denn wenn es überhaupt noch möglich gewesen wäre, so würdet Ihr mich gerettet haben. Es wird nie an Euch liegen, wenn es mit mir schlimmer geht.«
»Wenn Euer Seelenzustand, wie
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