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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Mr. Cruncher, daß das Leichenbegängnis einem gewissen Roger Cly galt.
    »War der ein Spion?« fragte Cruncher.
    »Old-Bailey-Spion«, erwiderte der Auskunftgeber. »Joho! Old-Bailey-Spiiion!«
    »Der Tausend, ja!« rief Jerry, sich der Gerichtsverhandlung erinnernd, der er beigewohnt hatte. »Ich habe ihn gesehen. Er ist also tot?«
    »Tot wie ein Hammelschlegel«, entgegnete der andere, »und kann nicht tot genug sein. Holt sie heraus da! Spione! Heraus mit ihnen, Spione!«
    Dieser Einfall schien bei der vorherrschenden Abwesenheit von Einfällen überhaupt so annehmbar, daß die Menge ihn mit Begier aufgriff: sie wiederholte das ›Heraus!‹ so laut und bedrängte die beiden Fuhrwerke so sehr, daß sie nicht mehr weiterkonnten. Man riß den Kutschenschlag auf, der einzige Leidtragende rutschte von selbst hinaus und befand sich für einen Augenblick in den Händen des Pöbels; er war jedoch so hurtig und wußte seine Zeit so gut zu benutzen, daß er im nächsten Augenblicke schon eine Nebenstraße hinaufeilte, nachdem er seinen Mantel, seinen Hut, seinen langen Hutflor, das weiße Taschentuch und anderen Trauerzubehör im Stich gelassen hatte.
    Das Volk riß diese Hinterlassenschaft in Stücke und streute sie mit wilder Lust weit und breit umher, während die Geschäftsleute hastig ihre Buden schlossen; denn in jenen Zeiten war ein Pöbelhaufen ein gefürchtetes Ungeheuer und durch nichts zu halten. Man hatte sich bereits bis zum Öffnen des Wagens und Herunternehmen des Sarges verstiegen, als mit einem Mal ein genialerer Geist den Vorschlag machte, man solle den Leichnam unter schallendem Jubel an den Ort seiner Bestimmung bringen. Praktische Ratschläge waren gewiß sehr am Platze und so fand auch dieser eine beifällige Aufnahme. Im Nu hatten acht Mann das Innere und ein Dutzend das Äußere der Kutsche eingenommen, während sich so viele,
als nur immer hinaufgingen, auf das Dach des Leichenwagens setzten. Unter den erstgenannten Freiwilligen befand sich Jerry Cruncher selbst, der seinen stachligen Kopf bescheiden in der hintersten Ecke der Trauerkutsche barg, um nicht von Tellsons her entdeckt zu werden.
    Die diensttuenden Leichenbesorger erhoben zwar einige Einwendung gegen diesen Wechsel in der Zeremonie, bestanden aber nicht lange darauf, denn der Fluß lag in beunruhigender Nähe, und einige Stimmen ließen die Andeutung fallen, daß ein kaltes Bad ein sehr wirksames Mittel sei, um widerspenstige Personen zur Vernunft zu bringen. Der umgemodelte Zug brach auf mit einem kutschierenden Schornsteinfeger auf dem Bocke des Leichenwagens, während der berufsmäßige Kutscher überwachend ihm zur Seite saß; in gleicher Weise vertrat den Dienst des Lenkers auf der Trauerkutsche ein von dem ordentlichen Kutscher unterstützter Pastetenbäcker. Ein Bärenführer, damals eine populäre Straßenfigur, wurde, noch ehe der Zug den Strand erreicht hatte, als Schaustück in den öffentlichen Dienst gepreßt, und der Bär, der schwarz und sehr schäbig war, verlieh dem Teile der Prozession, in dem er marschierte, ein echtes und gerechtes Leichenbestattungsaussehen. – So ging unter Biertrinken, Tabakrauchen, Brüllen und karikierten Trauergebärden der unordentliche Zug seines Weges, bei jedem Schritte Zuwachs aufnehmend, während vor ihm her überall die Läden sich schlossen. Sein Bestimmungsort war die alte Sankt-Pankraz-Kirche, weit draußen in den Feldern. Man langte im Laufe der Zeit dort an; die Menge stürmte in den Kirchhof hinein und besorgte in ihrer Art und zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit die Beerdigung des verstorbenen Roger Cly.
    Nachdem der Tote versorgt war, sah sich die Masse genötigt, sich nach einem anderen Zeitvertreib umzusehen, wes
halb ein anderer genialer Geist (oder vielleicht der frühere) auf den Einfall kam, Leute, die zufällig vorübergingen, als Old-Bailey-Spione zu bezeichnen und die Volksrache auf sie zu lenken. Demgemäß wurden einige Dutzend harmloser Personen, die vielleicht in ihrem ganzen Leben Old Bailey nie gesehen hatten, hin und her gezerrt und mißhandelt. Der Übergang zu dem Spaße des Fenstereinwerfens und dann zum Plündern der Wirtshäuser war leicht und natürlich. Als endlich nach Ablauf mehrerer Stunden etliche Gartenhäuschen in Trümmern lagen und zur Bewaffnung der kriegerisch gesinnten Gemüter unterschiedliche Hofzäune eingerissen waren, verbreitete sich das Gerücht, die Wachen kämen. Vor dieser bedrohlichen Kunde schmolz der Haufen allmählich zusammen.

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