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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Vielleicht kamen die Wachen, vielleicht auch nicht; genug, der Auflauf nahm das gewöhnliche Ende.
    Mr. Cruncher hatte sich an den Schlußbelustigungen nicht beteiligt, sondern war auf dem Kirchhof zurückgeblieben, um sich mit den Leichenbestattern zu unterhalten und ihnen sein Beileid auszudrücken. Der Platz übte einen beruhigenden Einfluß auf ihn aus. Er besorgte sich aus einer nahen Schenke eine Pfeife, rauchte wacker drauflos, sah durch das Gitter hinein und betrachtete sich bedächtig die Stelle.
    »Jerry«, sagte Mr. Cruncher, sich selbst anredend, »du siehst, daß man heute den Cly dort begraben hat, und du weißt aus eigener Anschauung, daß er ein junger, gutgebauter Bursche war.«
    Nachdem er seine Pfeife ausgeraucht und noch eine Weile länger seinen Gedanken freien Lauf gelassen hatte, trat er den Heimweg an, um vor Geschäftsschluß sich wieder auf seinen Posten bei Tellsons zu zeigen. Ob seine Betrachtung über Sterblichkeit eine schlimme Einwirkung auf seine Leber geübt oder ob er vorher schon sich nicht recht wohl gefühlt hatte – viel
leicht wollte er auch nur einem ausgezeichneten Manne eine kleine Aufmerksamkeit erweisen; kurz, er machte unterwegs einen kurzen Besuch bei seinem ärztlichen Ratgeber, einem Chirurgen von hohem Ruf.
    Der junge Jerry tröstete mit pflichtschuldiger Teilnahme seinen Vater und meldete, daß es in seiner Abwesenheit nichts zu tun gegeben habe. Die Bank wurde geschlossen; die alten Angestellten kamen heraus; es wurde die gewöhnliche Wache bestellt, und Mr. Cruncher begab sich mit seinem Sohne nach Hause zum Tee.
    »Ich weiß jetzt, woran es liegt«, sagte Mr. Cruncher beim Eintreten zu seinem Weibe. »Wenn mir, einem ehrlichen Geschäftsmanne, heute nacht mein Ausgang mißglückt, so kann ich überzeugt sein, daß du gegen mich gebetet hast, und ich werde dich dafür so gut bearbeiten, als ob ich mit eigenen Augen zugesehen hätte.«
    Die verzagte Mrs. Cruncher schüttelte ihren Kopf.
    »Was, das tust du vor meinen Augen?« rief Cruncher mit den Zeichen heftigen Unwillens.
    »Ich sage ja nichts.«
    »Gut; aber du sollst auch nichts denken. Du könntest mir ebensogut hinknien wie denken; denn das eine wie das andere geht gegen mich. Ich sage dir, laß es bleiben!«
    »Ja, Jerry.«
    »Ja, Jerry«, wiederholte Mr. Cruncher, sich zum Tee niedersetzend. »Es ist mein voller Ernst, und darum kein Wort mehr. Du hast Ursache, zu sagen: Ja, Jerry.«
    Mr. Cruncher hatte keine besondere Absicht bei solcher zänkischen Rechthaberei, sondern wollte damit nur, wie es manche Leute machen, im allgemeinen eine ironische Unzufriedenheit ausdrücken.
    »Du mit deinem ›Ja, Jerry‹!« sagte Mr. Cruncher, indem er
von seinem Butterbrot abbiß. »Ah, ich kann mir's denken – glaub's wohl.«
    »Du gehst heute nacht aus?« fragte sein braves Weib, als er abermals einen Bissen nahm.
    »Ja.«
    »Darf ich mitgehen, Vater?« fragte sein Sohn hastig.
    »Nein, du darfst nicht. Ich gehe fischen, wie deine Mutter weiß. Ja, das ist der Zweck meines Ausgangs. Fischen.«
    »Eure Angel wird ziemlich rostig; nicht wahr, Vater?«
    »Das kann dir gleich sein.«
    »Bringt Ihr auch einen Fisch nach Hause, Vater?«
    »Wenn's nicht geschieht, wird's morgen schmale Kost geben«, versetzte der Ehrenmann mit Kopfschütteln. »Doch du hast jetzt genug gefragt. Ich werde erst ausgehen, wenn du längst im Bette bist.«
    Er beschäftigte sich für den Rest des Abends damit, daß er ein äußerst wachsames Auge auf Mrs. Cruncher hatte und sie durch ständiges Zanken hinderte, auch nur in Gedanken zu seinem Nachteil zu beten. In dieser Absicht drängte er auch seinen Sohn, seine Mutter stets in Atem zu halten, und die unglückliche Frau hatte schwer darunter zu leiden; denn Mr. Cruncher zog lieber jede Kleinigkeit an den Haaren herbei, um ihr Vorwürfe zu machen, als daß er ihr nur einen Augenblick Zeit zum Nachdenken gelassen hätte. Selbst der frömmsten Person wäre es unmöglich gewesen, der Wirksamkeit eines ehrlichen Gebetes tiefere Anerkennung zu zollen, als es durch dieses Mißtrauen gegen das arme Weib geschah. Geradeso sieht man oft entschiedene Gespensterleugner bei einer Geistergeschichte ängstlich werden.
    »Und wohlgemerkt, keine Possen morgen!« sagte Mr. Cruncher. »Wenn es mir als einem ehrlichen Geschäftsmann gelingt, einen Hammelschlegel oder zwei heimzubringen, so laß mich
nicht hören, daß du nichts davon anrühren, sondern bei deinem Brote bleiben wollest. Und wenn ich als ehrlicher

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