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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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überwachte, mit einem Teller voll Kleingeld vor sich, auf dem das ursprüngliche Gepräge so entstellt und abgerieben war wie auf der menschlichen Scheidemünze, aus deren zerlumpten Taschen es gekommen war.
    Eine große Interesselosigkeit und eine vorherrschende Trägheit der Geister mochten vielleicht die Spione bemerken, die in die Weinstube hineinschauten; denn ihre Blicke reichen überallhin nach oben und unten, von dem Palast des Königs an bis zu dem Kerker des Verbrechers. Die Spielkarten lagen müßig,
Dominospieler bauten in Gedanken versunken mit den Steinen Türme, Trinker zeichneten mit dem verschütteten Wein Figuren auf den Tisch, ja sogar Madame Defarge bohrte mit ihrem Zahnstocher in dem Muster auf ihrem Ärmel und achtete nur auf etwas Unsichtbares und Unhörbares in weiter Ferne.
    Saint Antoine verblieb in dieser eigentümlichen Weinlaune bis zum Mittag. Es war um die zwölfte Stunde, als zwei staubige Männer durch die Gassen der Vorstadt unter den Laternen vorbeikamen. In dem einen erkennen wir Monsieur Defarge, in dem andern einen Straßenarbeiter mit einer blauen Mütze. Voll Staub und Durst traten sie in die Weinstube. Ihre Ankunft hatte in der Brust von Saint Antoine eine Art Feuer angezündet, das, je weiter sie kamen, mehr und mehr um sich griff und an den meisten Türen und Fenstern in flammenden Gesichtern hervorloderte. Aber niemand war ihnen gefolgt, und niemand ließ ein Wort verlauten, als sie in die Weinstube traten, obwohl jedes Auge sich ihnen zuwandte. »Guten Tag, meine Herren«, sagte Monsieur Defarge.
    Dies war, scheint es, ein Signal, das allen die Zunge löste, denn es entlockte die Antwort im Chor: »Guten Tag.«
    »Es ist schlechtes Wetter, meine Herren«, sagte Defarge, den Kopf schüttelnd.
    Hierauf sah jeder seinen Nachbarn an; dann schlugen alle ihre Augen nieder und blieben stumm sitzen. Ein einziger machte eine Ausnahme; er stand auf und verließ das Zimmer.
    »Frau«, sagte Defarge laut, sich an Madame Defarge wendend, »ich bin eine schöne Strecke mit diesem wackeren Arbeiter marschiert, der Jacques heißt. Ich traf ihn zufällig anderthalb Tagesmärsche von Paris. Er ist ein guter Mensch, dieser Jacques. Gib ihm zu trinken, Frau!«
    Ein zweiter Mann stand auf und ging hinaus. Madame Defarge setzte dem Straßenarbeiter namens Jacques Wein vor, wor
auf dieser vor der Gesellschaft seine blaue Mütze lüpfte und trank. Er zog aus seiner Bluse ein Stück rauhen, schwarzen Brotes heraus, brach sich hin und wieder einen Bissen ab und kaute und trank in der Nähe von Madame Defarges Zahltisch. Ein dritter stand auf und ging hinaus.
    Defarge labte sich mit einem Schluck Wein, genoß aber weniger, als dem Fremden gereicht worden, da ihm, als dem Hausherrn, das Getränk nichts Besonderes war; dann blieb er wartend stehen, bis der Mann vom Lande seinen Imbiß beendet hatte. Er sah von den Anwesenden niemand an, und auch von diesen hatte niemand ein Auge für ihn, nicht einmal Madame Defarge, die ihr Strickzeug wiederaufgenommen hatte.
    »Seid Ihr fertig mit Eurem Mahle, Freund?« fragte er, nachdem er dem Fremden gehörig Zeit gelassen hatte.
    »Ja; ich danke Euch.«
    »So kommt. Ihr sollt das Gemach sehen, das Ihr, wie ich Euch sagte, haben könnt. Es wird Euch gewiß gut gefallen.«
    Aus der Weinstube auf die Straße, von der Straße in den Hof, vom Hofe eine steile Treppe hinan, von der Treppe in ein Dachstübchen – früher das Dachstübchen, in dem ein weißhaariger Mann auf einer niedrigen Bank vornübergebeugt saß und Schuhe machte.
    Es war kein weißhaariger Mann mehr da, wohl aber harrten darin die drei, die einzeln die Schenkstube verlassen hatten. Und zwischen ihnen und dem in weiter Ferne wohnenden weißhaarigen Manne bestand die einzige kleine Verbindung, daß sie ihn einmal durch die Risse in der Mauer gesehen hatten. Defarge schloß sorgfältig die Tür und begann mit gedämpfter Stimme:
    »Jacques eins, Jacques zwei, Jacques drei, dies ist der Zeuge, der mir, dem Jacques vier, infolge der Verabredung, entgegengekommen ist. Er wird euch alles sagen. Sprecht, Jacques fünf!«
    Der Arbeiter, der seine blaue Mütze in der Hand hatte, wischte sich die braune Stirn damit und sagte:
    »Wo soll ich anfangen, Herr?«
    »Fang von vorn an«, lautete Monsieur Defarges nicht unvernünftige Erwiderung.
    »Gut, ihr Herren«, begann Jacques fünf; »ich sah ihn, diesen Sommer ist's ein Jahr, unter der Kutsche des Marquis, wie er in der Kette hing. Schaut, wie das war. Ich

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