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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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der einen Anschlag auf das Leben des verstorbenen Königs Ludwig XV . machte. Aber wie kann ich wissen, ob er die Wahrheit sagt? Ich bin kein Studierter.«
    »Hört mich noch einmal an, Jacques«, sagte der Mann mit der unruhigen Hand und der gierigen Miene. »Der Name jenes Gefangenen war Jacques Damiens, und der ganze Vorgang fand bei hellem Tage in den offenen Straßen dieser Stadt Paris statt. Und nichts war merkwürdiger in dem ungeheuren Zusammenlauf der Zuschauer als die Menge von hohen und vornehmen Damen, die kein Auge verwandten von dem Schauspiel, solange es dauerte; es wurde nämlich bis in die Nacht hinein verlängert, und der Unglückliche hatte schon zwei Beine und einen Arm verloren, als er immer noch atmete. Dies ist geschehen – na, wie alt seid Ihr?«
    »Fünfunddreißig«, sagte der Graukopf, der wie ein Sechziger aussah.
    »Es ist also geschehen, als Ihr schon über zehn Jahre alt waret. Ihr hättet es selbst noch mit ansehen können.«
    »Genug«, sagte Defarge mit grimmiger Ungeduld. »Lang lebe der Teufel! Macht weiter.«
    »Nun, die einen munkeln dies, die anderen das; sie sprechen von nichts anderem, und selbst der Brunnen scheint in diesen Ton einzufallen. Endlich einmal Sonntag nachts, während
das ganze Dorf im Schlafe liegt, kommen Soldaten den Schlangenweg vom Gefängnis herunter, und ihre Schüsse hallen von den Steinen der nahen Straße wider. Werkleute graben, Werkleute hämmern, die Soldaten lachen und singen, und am Morgen steht neben dem Brunnen ein vierzig Fuß hoher Galgen und vergiftet das Wasser.«
    Der Erzähler sah eher durch die Decke hindurch als nach ihr hinauf und machte ein Zeichen, als sehe er den Galgen irgendwo am Himmel.
    »Alle Arbeit bleibt liegen, alles versammelt sich da, niemand treibt die Kühe aus, die Kühe sind da wie alles andere. Um Mittag Trommelwirbel. Soldaten sind während der Nacht ins Gefängnis marschiert, und er kommt in der Mitte vieler Soldaten. Er ist gebunden wie früher, und in seinem Munde steckt ein Knebel, der so fest und in einer Art angebracht ist, daß es fast aussieht, als ob er lache.« Er erläuterte dies damit, daß er mit den Daumen die Mundwinkel bis zu den Ohren zurückzog. »Oben am Galgen ist das Messer mit der Klinge aufwärts und der Spitze gen Himmel befestigt. Da hängt man ihn vierzig Fuß hoch und läßt ihn hängen und das Wasser vergiften.«
    Sie sahen einander an, während er seine blaue Mütze zum Abwischen des Schweißes benutzte, den ihm die Erinnerung an das Schauspiel ausgetrieben hatte.
    »Es ist schrecklich, meine Herren. Wie können die Weiber und die Kinder Wasser holen? Wer kann abends unter einem solchen Schatten plaudern? Darunter, habe ich gesagt? Als ich am letzten Montag um Sonnenuntergang das Dorf verließ und von dem Berge zurückschaute, fiel der Schatten quer über die Kirche hin, über die Mühle, an dem Gefängnis vorbei, und schien sich über die ganze Erde zu erstrecken, bis dahin, meine Herren, wo das Himmelsgewölbe aufsitzt.«
    Der Hungrige nagte, während er die anderen drei ansah, an
einem von seinen Fingern, und die Finger zitterten unter seiner Gier.
    »Das ist alles, meine Herren. Ich verließ, wie man mich geheißen hatte, um Sonnenuntergang das Dorf und wanderte selbige Nacht und den halben anderen Tag fort, bis ich, wie die Verabredung lautete, diesen Kameraden traf. Mit ihm reiste ich weiter, bald zu Fuß, bald fahrend, den Rest des gestrigen Tages und die ganze Nacht durch. Und nun seht Ihr mich hier.«
    Nach einem düsteren Schweigen sagte der erste Jacques:
    »Gut; Ihr habt treu gehandelt und erzählt. Wollt Ihr vor der Tür draußen ein bißchen auf uns warten?«
    »Recht gern«, versetzte der Straßenarbeiter.
    Defarge führte ihn zu dem Treppenabsatz, hieß ihn dort sich niedersetzen und kehrte zurück. Als er wieder in dem Dachstübchen anlangte, waren die drei aufgestanden und steckten die Köpfe zusammen.
    »Was meinst du, Jacques?« fragte Nummer eins. »Eintragen?«
    »Eintragen als zum Untergang verurteilt«, versetzte Defarge.
    »Großartig!« krächzte der Mann mit dem gierigen Mund.
    »Das Schloß und das ganze Geschlecht?« fragte der erste.
    »Schloß und Geschlecht«, entgegnete Defarge. »Vernichten.«
    Der hungrige Mann wiederholte mit entzückendem Krächzen sein ›Großartig‹ und begann an einem anderen Finger zu nagen.
    »Seid Ihr gewiß«, fragte Jacques zwei den Defarge, »daß uns aus der Art, wie unsere Liste geführt wird, keine Verlegenheit erwachsen

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