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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Gefängnistor sich auftut und ihn verschlingt – so.«
    Er öffnete den Mund, so weit er konnte, und ließ ihn mit einem klappenden Tone der Zähne wieder zuschnappen. Als Defarge bemerkte, daß der Mann nicht Lust hatte, den gemachten Eindruck durch ein abermaliges Öffnen des Mundes zu beeinträchtigen, sagte er zu ihm:
    »Fahrt fort, Jacques!«
    »Das ganze Dorf«, fing der Alte mit gedämpfter Stimme wieder an, während er sich zugleich auf die Fußspitzen stellte, »zieht sich zurück; das ganze Dorf flüstert am Brunnen; das ganze Dorf schläft; das ganze Dorf träumt von dem Unglücklichen, der auf dem Felsen hinter Schloß und Riegel sitzt und nur wieder aus dem Gefängnis herauskommen soll, um zu sterben. Am Morgen nehme ich mein Werkzeug auf die Schulter und meinen Bissen Schwarzbrot in die Tasche, um ihn unterwegs zu essen, und mache auf meinem Gange zur Arbeit einen Umweg nach dem Gefängnis. Da sehe ich ihn hoch oben hinter dem Gitter eines eisernen Käfigs blutig und staubig wie gestern hervorschauen. Er hat keine Hand frei, um mir zuzuwinken. Ich wage es nicht, ihn anzurufen, und er betrachtet mich mit Augen wie ein toter Mann.«
    Defarge und die drei warfen einander finstere Blicke zu. Ihre Mienen waren unheimlich, zurückhaltend und rachgierig, während sie der Geschichte des Landmannes zuhörten; auch ließ sich in ihrer Haltung etwas Gebieterisches nicht verkennen. Sie nahmen sich wie ein roher Gerichtshof aus. Jacques eins und zwei saßen auf der alten Bettstatt und hatten das Kinn auf die Hand gestützt, während ihre Augen unverwandt auf dem Alten hafteten. Jacques drei, der ebenso aufmerksam war, stützte sich hinter ihnen auf das eine Knie und fuhr ohne Unterlaß mit der Hand über die aufgeregt spielenden Muskeln seiner Lippen und Nase. Defarge stand zwischen ihnen und dem Erzähler, dem er seinen Platz im Lichte des Fensters angewiesen hatte, und ließ seine Blicke von ihm auf die drei und von den dreien wieder auf ihn zurückgleiten.
    »Macht nur weiter, Jacques«, sagte Defarge.
    »Er bleibt einige Tage droben in seinem Käfig. Das Dorf schaut nur verstohlen zu ihm hinauf, denn es fürchtet sich.
Aber es betrachtet immer aus der Ferne das Gefängnis auf dem Felsen, und abends, wenn es sich nach vollbrachtem Tagewerk zum Plaudern am Brunnen versammelt, wenden sich alle Augen dem Gefängnis zu. Früher pflegten sie sich auf das Posthaus zu richten, jetzt aber ist der Fels ihr Ziel. Sie flüstern sich am Brunnen zu, obgleich der Mann zum Tode verurteilt sei, werde er doch nicht hingerichtet werden; sie sagen, es seien in Paris Bittschriften eingereicht worden, die auseinandersetzten, der Tod seines Kindes habe ihn geisteskrank gemacht; sie sagen, der König selbst habe eine solche Bittschrift in Empfang genommen. Was weiß ich? Es ist möglich. Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
    »So hört denn, Jacques«, fiel ihm Nummer eins dieses Namens ins Wort. »Eine Bittschrift ist dem König und der Königin wirklich überreicht worden. Wir alle, die wir hier zugegen sind, mit alleiniger Ausnahme von Euch, haben gesehen, wie der König sie in Empfang nahm, als er mit der Königin an seiner Seite durch die Straßen fuhr. Defarge, den Ihr hier seht, war es, der unter Lebensgefahr mit der Schrift in der Hand vor die Pferde hintrat.«
    »Und hört weiter, Jacques«, sagte die kniende Nummer drei mit wahrhaftig gieriger Miene, als hungere sie nach etwas, was weder Speise noch Trank war, die Finger wieder und wieder über die Lippen hinführend, »die Garde, Reiter und Fußgänger, umdrängten den Bittsteller und mißhandelten ihn mit Schlägen. Hört Ihr's?«
    »Jawohl, ihr Herren.«
    »Fahrt fort!« sagte Defarge.
    »Andererseits munkelt man am Brunnen davon«, begann der Erzähler wieder, »er sei in unsere Gegend gebracht worden, um hier den Tod zu erleiden, und er werde ganz gewiß hingerichtet werden. Ja man will sogar wissen, weil er Monsei
gneur umgebracht habe und Monseigneur der Vater seiner Leibeigenen sei, so werde ihn der Tod des Vatermörders treffen. Ein alter Mann sagt am Brunnen, man gebe ihm das Messer in die rechte Hand, haue sie ihm ab und verbrenne sie vor seinen Augen; dann reiße man Löcher in seine Arme, in seine Brust, in seine Beine und gieße kochendes Öl, geschmolzenes Blei, heißes Harz, Wachs und brennenden Schwefel hinein; endlich reiße man ihm mit vier starken Pferden Glied für Glied aus dem Leibe. Der alte Mann sagt, all dies sei wirklich einem Gefangenen geschehen,

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