Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
Vom Netzwerk:
Daseinsebene führt. Hier, auf der reichen und strategisch wichtigen Insel Java, finden wir im Monument von Borobudur das allerbeste Beispiel dafür, dass der Buddhismus sich durch das Netzwerk des maritimen Handels über seine Entstehungsgrenzen hinaus ausbreiten und zur Weltreligion werden konnte. Um das Jahr 800 aus mehr als einer halben Million Steinblöcken errichtet, überragt die gestufte Pyramide von Borobudur eine Vulkanebene im Herzen der Insel. Sie besteht aus sieben ansteigenden Terrassen, die sich stufenartig verjüngen: vier rechteckige Terrassen unten und drei kreisförmige darüber. Ganz oben über diesem Aufbau befindet sich ein großer, von einer Kuppel überwölbter Schrein.

    Beim Erklimmen der verschiedenen Ebenen gelangt man über einen materiellen Weg zur geistigen Erleuchtung. Auf der untersten Ebene erinnern uns die Skulpturen der Reliefs an die Illusionen und Enttäuschungen des alltäglichen Lebens mit all seinen Mühen und Unzulänglichkeiten; sie führen uns die Bestrafungen, die Ehebrechern, Mördern und Dieben zugemessen waren, vor Augen – eine «danteske» Vision von Schuld und ihrer unabwendbaren Sühne. Weiter oben zeigen uns die Reliefs das Leben des historischen Buddha, wie er diese unvollkommene Welt überwand, indem er trotz seiner hohen Geburt und des familiären Wohlstands zu Entsagung und letztendlich zur Erleuchtung gelangte. Danach folgen einzelne Figuren von meditierenden und lehrenden Buddhas, die den Pilgern zeigen, wie sie ihre Reise der Entsagung zu den Reichen des Geistes fortsetzen sollen.
    Als der Islam im 16. Jahrhundert die vorherrschende Religion Javas wurde, verwaiste die buddhistische Stätte von Borobudur und blieb jahrhundertelang überwuchert und nahezu unsichtbar. Drei Jahrhunderte später, 1814, wurde sie von ihrem ersten modernen Besucher, dem britischen Verwalter, Wissenschaftler und Soldaten Sir Thomas Stamford Raffles, wiederentdeckt und beschrieben. Raffles war zum Vizegouverneur von Java ernannt worden, nachdem die Briten die Insel während der Napoleonischen Kriege besetzt hatten, und er begann sich leidenschaftlich für die Einwohner und ihre Vergangenheit zu interessieren. Er hörte von einem «Hügel der Statuen» und beauftragte ein Team mit Nachforschungen. Die Neuigkeiten, die es mitbrachte, waren so aufregend, dass Raffles sich auf den Weg machte, um das Monument, das zu dieser Zeit Boro Boro genannt wurde, selbst in Augenschein zu nehmen:
    «Boro Boro ist ein herrliches majestätisches Kunstwerk. Die gewaltige Ausdehnung der Gebäudemassen, die teilweise von der üppigen Vegetation des hiesigen Klimas überwuchert sind, die Schönheit und die feine Ausführung der einzelnen Teile, die Symmetrie und das Ebenmaß des Ganzen. Die beträchtliche Zahl und der interessante Charakter der Statuen und Reliefs, mit denen das Bauwerk ausgestattet ist, werfen die Frage auf, warum es nicht schon früher erforscht, in Skizzen festgehalten und beschrieben worden ist.»
    Das Monument wurde durch Erdbeben schwer beschädigt und zu großen Teilen unter Vulkanasche begraben. Noch heute stehen viele Steinfragmente in Reihenum die Anlage, inmitten von Gras und Blumen. Dennoch war Raffles fasziniert. Er wusste sofort, dass dies eine ganz herausragende bauliche und kulturelle Leistung war, und er nahm zwei der abgefallenen Buddhaköpfe mit.
    Raffles’ Wiederentdeckung von Borobudur und die spätere Freilegung wichtiger Hindu-Bauwerke auf der Insel – denn auf Java existierte beides, Hinduismus und Buddhismus – führten zu einer grundlegenden Neubewertung der Geschichte Javas. Raffles wollte die Europäer davon überzeugen, dass Java tatsächlich eine großartige Kultur aufzuweisen hatte, wie der Anthropologe Nigel Barley erklärt:
    «Raffles glaubte mit leidenschaftlichem Eifer an das Konzept der Zivilisation; er definierte diese nie, aber es gibt eine Reihe deutlicher Kennzeichen. Eines von ihnen ist ein eigenes Schreibsystem, ein anderes ist eine soziale Hierarchie und wieder ein anderes ist die Errungenschaft komplexer Steinarchitektur. Wenn Sie so wollen, war Borobudur also einer der Beweise dafür, dass Java eine große Zivilisation besaß – gleichbedeutend mit dem antiken Griechenland und Rom – und seine ganze Sammlung im Britischen Museum, die Raffles Collection, und das ganze Buch, das er schrieb,
Die Geschichte Javas
, sind ein Versuch, diese Überzeugung zu untermauern.»
    Zur Raffles Collection gehören die beiden Köpfe, einige in Borobudur

Weitere Kostenlose Bücher