Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
denen unser Beil stammt. Pierre Pétrequin schildert dieses Abenteuer:
«Wir waren in Papua-Neuguinea gewesen und hatten herausgefunden, dass der Stein für die Axtköpfe dort aus den hohen Bergen kommt. Das brachte uns auf die Idee, in den Alpen ganz hoch hinaus zu gehen und dort vielleicht die Quellen der europäischen Jade zu finden. In den 1970er Jahren hatten viele Geologen die Ansicht vertreten, die Axthersteller hätten einfach Jadeblöcke verwendet, die durch die Gletscher und Flüsse aus den Bergen herabgekommen waren. Doch das stimmt nicht. Als wir deutlich höher hinaufstiegen, in Bereiche zwischen 1800 und 2400 Meter Seehöhe, fanden wir dort die Abbaustellen und das tatsächliche Rohmaterial – mitsamt den noch immer sichtbaren Gebrauchsspuren.
In einigen Fällen besteht das Rohmaterial aus sehr großen einzelnen Blöcken in der Landschaft. Um an die begehrte Substanz zu kommen, musste man an den Blöcken Feuer legen, damit die Arbeiter anschließend große Gesteinsbrocken abschlagenund weiterverarbeiten konnten. Das Zeichen, das auf dem Stein zurückgeblieben ist, ist deshalb eine kleine Aushöhlung – eine Narbe sozusagen – mit zahlreichen Steinsplittern darunter.»
Die geologische Signatur jedes Jadestücks lässt sich genau ermitteln und zuordnen. Das Ehepaar Pétrequin fand nicht nur heraus, dass das Beil im Britischen Museum aus den italienischen Alpen stammte, es konnte sogar den Felsblock exakt bestimmen, aus dem das Beil gefertigt wurde. Doch damit nicht genug: Pierre Pétrequin konnte auch noch ein geologisches Geschwister-Beil ausfindig machen – eine andere Jade-Schönheit, die man in Dorset gefunden hat:
«Der Beilkopf aus Canterbury stammt aus dem gleichen Felsblock wie derjenige, der in Dorset gefunden wurde, und damit steht fest, dass die Menschen zu verschiedenen Zeiten immer wieder zu diesem Felsblock zurückgekehrt sind, vielleicht erst Jahrhunderte später, aber weil er eine ganz spezifische Zusammensetzung aufweist, können wir heute sagen, dass es genau dieser Felsblock war – Splitter aus dem alten Block!»
Der Felsblock, aus dem vor 6000 Jahren das Beil im Britischen Museum geschlagen wurde, befindet sich noch immer hoch oben in den Bergen, manchmal sogar über den Wolken, und von dort aus bieten sich großartige Ausblicke. Die Jadesucher scheinen sich bewusst für diesen besonderen Ort entschieden zu haben – sie hätten auch einfach Jadegestein nehmen können, das am Fuß der Berge lose herumlag, doch stattdessen sind sie durch die Wolken nach oben gestiegen, weil sie dort, so die Vermutung, den Stein an einem Ort gewinnen konnten, der in der Mitte zwischen unserer Welt hier auf Erden und dem himmlischen Raum der Götter und Vorfahren lag. Aus diesem Grund wurde die Jade auch mit extremer Sorgfalt und Ehrfurcht behandelt, so als würde sie spezielle Kräfte besitzen.
Nachdem sie grobe Jadebrocken herausgebrochen hatten, mussten die Steinarbeiter und Bergleute das Material an einen tiefer gelegenen Ort bringen, wo es weiterverarbeitet werden konnte – eine langwierige, mühselige Aufgabe, die zu Fuß und mit Hilfe von Booten bewältigt wurde. Große Blöcke des begehrten Steins wurden immerhin in fast 200 Kilometer Entfernung gefunden – eine bemerkenswerte Leistung –, und mitunter legte das Material auch noch weitere Wege zurück. Letztlich breitete sich Jade aus den italienischen Alpen über ganz Mitteleuropa aus, zum Teil sogar bis nach Skandinavien.
Was den Reiseweg unseres Beils angeht, so sind wir auf Vermutungen angewiesen, die allerdings durchaus einiges für sich haben. Jade ist extrem hart und schwer zu bearbeiten, so dass die Formung des Beils enorme Mühe gekostet haben muss. Insofern ist es wahrscheinlich zunächst in Norditalien grob geformt und mehrere hundert Kilometer in den Nordwesten Frankreichs transportiert worden. Dort wurde es vermutlich geschliffen, denn es ähnelt mehreren anderen Beilen, die man in der südlichen Bretagne gefunden hat, wo man offenbar eine besondere Vorliebe für derart exotische Schätze hatte. Die Menschen in der Bretagne haben sogar die Mauern ihrer riesigen Steingräber mit Abdrücken der Beile versehen. Mark Edmonds erläutert, welche Implikationen das hatte:
«Neben den praktischen Zwecken, zu denen man diese Beile benutzen kann, kam ihnen noch eine ganz andere Bedeutung zu – eine Bedeutung, die sich daraus ergab, wo man sie gefunden hatte, von wem man sie bekommen hatte, wo und wann sie gefertigt wurden,
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