Eine Geschichte von Liebe und Feuer
die schmale Tür aufsperrte, und als der Deutsche sah, was sich dahinter befand, war er sofort abgelenkt. Vor Gier schien ihm geradezu das Wasser im Mund zusammenzulaufen. Er griff hinein, zog eine der Rollen heraus, die in ihrer Mappa, ihrer uralten Samthülle, steckte, und hielt sie liebevoll im Arm wie ein Baby. Dann legte er sie auf einen Tisch in der Nähe und rollte sie sorgfältig auf. Mit den Fingerspitzen strich er über die Worte, als wären sie in Braille geschrieben, bevor er die Rolle wieder in die Hülle zurücksteckte. Der andere Deutsche begann, Gegenstände zu den wartenden Trägern hinauszuschaffen.
Die Synagogenälteren, die die ganze Nacht gebetet hatten, um sich auf die schändliche Plünderung vorzubereiten, standen schweigend daneben. Sie rührten sich nicht. Man hatte den Eindruck, als würde vielfach auf sie eingestochen, aber sie waren nicht in der Lage, sich zu wehren.
Nachdem sie den Thoraschrein geleert hatten, nahmen die Deutschen ein paar Dutzend Bücher an sich. Zum Schluss wickelten sie die Menora in das bestickte Tuch, das den Tisch bedeckte, trugen den Leuchter hinaus und legten ihn auf einen der Karren. Alles wurde mit erstaunlicher Sorgfalt ausgeführt. Einer der beiden Deutschen listete demonstrativ alles auf, was sie genommen hatten. Vielleicht sollte dies den Eindruck erwecken, dass die Dinge zurückerstattet würden. Dies war der einzige Grund, weshalb die beiden Ãlteren nicht in Tränen ausbrachen bei dieser Schmierenkomödie.
Die Deutschen hatten ihre Aufgabe erledigt. Die Synagoge war geplündert.
Es folgte ein seltsamer Moment, als der ältere Deutsche die Hand ausstreckte, als wollte er sich von den Juden verabschieden. Doch die Rabbis traten instinktiv einen Schritt zurück.
»Danke schön und guten Morgen«, sagte er auf Deutsch.
Mit diesen Worten machten sie sich auf den Weg die StraÃe hinunter, die ratternden Karren im Schlepptau.
Jetzt kamen einige Dutzend Gemeindemitglieder aus den Häusern und sahen gemeinsam mit den Ãlteren den Gestalten nach, die sich langsam entfernten. Sobald die Männer auÃer Sichtweite waren, gingen sie in die Synagoge und begannen zu beten.
Nachdem die Deutschen den Juden ihre heiligen Schätze geraubt hatten, wurden sie von den Besatzungstruppen mehr oder weniger in Ruhe gelassen. Die Häuser der reicheren Juden hatten sie bereits beschlagnahmt und viele Geschäfte geschlossen.
Antisemitische Einstellungen, die mehrere Jahre unter der Oberfläche geschwelt hatten, traten jetzt ganz offen zutage und waren plötzlich salonfähig geworden.
Eines jedoch traf Juden und Christen gleichermaÃen: der Mangel an Nahrung. Und mit dem Einsetzen des kalten Wetters nahm die Not weiter zu. Die Deutschen hatten riesige Gütermengen auÃer Landes geschafft, um ihre eigene Bevölkerung zu ernähren, und Griechenland konnte nichts einführen.
In diesem Winter kämpften die Menschen in den StraÃen um Essensabfälle oder durchwühlten Müllberge in der Hoffnung, eine weggeworfene Brotkruste zu finden. BarfüÃige Kinder standen mit ausgemergelten Eltern vor Suppenküchen an, doch was sie dort bekamen, hatte kaum Nährwert. Das Rote Kreuz bemühte sich zu helfen, aber die Anstrengungen richteten fast nichts aus. Die Menschen in Thessaloniki begannen zu sterben.
Jeden Tag sah Katerina neues Elend. Eines Tages, als sie die EgnatiastraÃe, den Hauptboulevard der Stadt, entlangging, bemerkte sie zwei gebückte Gestalten mit aufgetriebenen Bäuchen und vorstehenden Rippen. Das war an sich schon ein erschreckender Anblick, aber wegen der eingesunkenen Augen und der scheinbar vergröÃerten Köpfe konnte man nicht einmal mehr sagen, ob es junge Leute oder Greise waren.
Die Lage in Athen war allerdings noch weitaus schlimmer, wie man hörte. Katerina hoffte, dass ihre Mutter es irgendwie schaffte zu überleben. Sie hatte schon seit Längerem nichts mehr von ihr gehört.
Alle Angestellten bei Moreno & Söhne waren sich bewusst, welch ungewöhnliches Glück sie hatten. Die Deut schen kamen weiterhin regelmäÃig in ihr Atelier, und mit dem Einkommen, das sie ihnen verschafften, hatten sie Zugang zum Schwarzmarkt. Nur so konnte man überleben, aber nicht nur sie hatten zu essen, sondern auch ihre Nachbarn.
Saul Morenos Stofflager war inzwischen fast leer, also gingen seine deutschen Kunden zu Komninosâ
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