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Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Titel: Eine Geschichte von Liebe und Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hislop
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Roza nicht nur ein beliebtes Motiv, das Fruchtbarkeit und Überfluss symbolisierte, sondern gab auch noch einen verborgenen Hinweis. Auf Ladino hieß Granatapfel »granada« , und jedem, der dies wusste, wäre klar, dass sich unter den Schichten purpurner Seide etwas befand, das ursprünglich aus Spanien, aus Granada stammte.
    Um daran zu arbeiten, musste der Quilt über das Bett der Morenos gebreitet werden, und dort würde er auch bleiben und den bedecken, an dem Kyria Moreno ihr ganzes Eheleben lang gestickt hatte. Vier Frauen arbeiteten an dem Mittelstück, das von den Worten aus dem Buch Exodus inspiriert war: »Du sollst Granatäpfel machen aus Blau und Purpur und Scharlachrot … und Glocken aus Gold dazwischen.« Vier arbeiteten an der Einfassung. Die Dringlichkeit der Arbeit feuerte sie an, und ihre Finger stichelten schnell und akkurat. Im Untergeschoss arbeitete Esther sorgfältig an der Tarnung des fragilen Gebetsschals. Die Seide war so brüchig, dass sie keinen Nadelstich aushalten würde, also verbarg sie ihn zwischen zwei Stofflagen, die sie sorgfältig zusammennähte und säumte. Entlang der Ränder stickte sie eine abstrakt wirkende Bordüre, die aber in Wirklichkeit hebräische Wörter darstellte und dem Leser verriet, was sich im Innern verbarg. Wegen des prächtigen Musters ihrer Stickerei käme niemand auf die Idee, sie je aufzutrennen.
    Â»Mit diesen hier müssen wir etwas so Alltägliches machen, Katerina, dass sie überhaupt niemandem auffallen«, sagte Roza Moreno.
    Beide standen am Tisch und blickten auf die zwei ausgefransten Pergamentstücke hinab.
    Â»Meine Liebe, ich möchte, dass du dir vorstellst, du wärst wieder ein Kind. Das fällt dir hoffentlich nicht schwer, aber du musst den kindlichen Stil auch richtig hinbekommen. Ich möchte, dass du ein Bild stickst, auf dem in großen Buch staben ›Kalimera‹ steht – du kennst doch diese Bilder mit einer aufgehenden Sonne, einem Vogel oder einem Schmetterling darauf. Und dann ein zweites mit ›Kalispera‹ .«
    Â»Mit Mond und Sternen?«
    Â»Ja, genau. Aber sie sollen nicht aussehen, als hätte sie ein ungeschicktes Kind gemacht«, sagte sie lächelnd. »Ich muss schließlich damit leben, wenn sie bei mir an der Wand hängen!«
    Katerina hatte vor vielen Jahren unter Anleitung ihrer Mutter ganz ähnliche Bilder gestickt, und die Erinnerung daran kehrte schlagartig zurück.
    Ihr Kalimera war mit großen, schwungvollen Stichen und einem leuchtend gelben und ihr Kalispera mit einem mitternachtsblauen Faden gearbeitet. Sie genoss die Einfachheit der Aufgabe und lächelte über das Resultat. Niemand würde verdächtig finden, was in jedem griechischen Haushalt an der Wand hing. Selbst wenn man das Bild aus dem Rahmen nähme, blieben die kostbaren Seiten, die sie verstecken mussten, von der Rückwand aus brauner Pappe verborgen. Es war allgemein üblich, die unordentliche Rückseite einer Stickerei zu verdecken.
    Obwohl sich ein Dutzend Leute in dem kleinen Haus befanden, herrschte eine unheimliche Stille. Sie arbeiteten konzentriert und unter höchstem Zeitdruck. Sie retteten die Schätze aus ihrer Vergangenheit.
    Von Zeit zu Zeit blickte Katerina zu Esther Moreno auf. Zum ersten Mal, seit sie sie kannte, wirkte die ältere Frau zufrieden.
    Die ganze Nacht hindurch arbeiteten sie ohne Unterlass. Alles musste am Morgen fertig sein.
    Wie allgemein üblich bei solch traditionellen Bildern, stickte Katerina das Datum in die Ecke ein. In das erste stickte sie » 1942 «, ins zweite » 1492 «, weil sie die Ziffern vertauschte. Es war das Datum der Vertreibung der sephardischen Juden aus Spanien. Jedem, der sich mit der Geschichte der Juden in Thessaloniki auskannte, würde der bewusste Fehler auffallen.
    Nicht weit entfernt davon warteten die beiden jüdischen Älteren in der Synagoge. Um Punkt halb acht traten die zwei Vertreter der Kommission ein. Draußen lehnten zwei Träger an ihren Handkarren, rauchten und unterhielten sich. Sie sollten die Schätze aus der Synagoge zum Bahnhof bringen.
    Obwohl sich die beiden Männer in schnellem Deutsch verständigten, war offenkundig, worüber sie redeten. Einer hatte bemerkt, dass der Vorhang am Thoraschrein fehlte. Er gestikulierte wütend und schimpfte lauthals. Schnell zog der ältere Rabbi einen großen Schlüssel heraus, der

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