Eine Geschichte von Liebe und Feuer
schöpften. Meist waren sie nachts unterwegs, wurden von Bauern mitgenommen, die noch Treibstoffreserven hatten, und nach fünf Tagen kam schlieÃlich Thessaloniki in Sicht.
In der Stadt bewegten sich die beiden Männer mit gröÃter Vorsicht, und auf den groÃen Boulevards achteten sie darauf, sich stets im Schatten der Bäume zu halten. So hofften sie, sicher die Häuser ihrer Familien zu erreichen.
Sie freuten sich, wieder hier zu sein, aber Thessaloniki war nicht mehr die Stadt, die sie verlassen hatten. Ein dumpfes Gefühl der Trauer hing über den StraÃen. Auf der Egnatia straÃe und in den angrenzenden Gassen herrschte nicht mehr das typische geschäftige Treiben. Viele Läden waren verrammelt, und bei denjenigen, die noch nicht dichtge macht hatten, waren die Schaufenster leer. StraÃenhändler, die früher mit ihren Rufen zur Lebhaftigkeit der Atmosphäre beigetragen hatten, waren verschwunden, und am Bahnhof gab es gerade noch zwei Schuhputzer, wo früher ein Dutzend gesessen hatte. Sie sahen einige deutsche Soldaten, aber die zeigten nicht das geringste Interesse an Dimitri oder Elias.
Dimitri beobachtete eine Gruppe Kinder, die eine Abfall tonne umstürzte. Der Hunger, den er in den Bergen und Dörfern erlebt hatte, hatte nicht annähernd so verzweifelt ausgesehen wie hier. AuÃerhalb der Stadt fand sich immer irgendein Gemüse, aus dem sich Suppe kochen lieÃ, und es gab Früchte, Nüsse oder Wurzeln. Unter Anleitung vertrauenswürdiger Einheimischer, die sie gelehrt hatten, was man meiden musste, waren sogar Beeren ein wichtiger Bestandteil ihrer Nahrung gewesen. Die Natur sorgte immer für Essbares, aber die Pflastersteine in der Stadt brachten nichts hervor als Schmutz im Winter und jetzt, da die Tem peraturen stiegen, erstickenden Staub. Die urbane Landschaft war ein karger, elender Ort für die Hungernden.
Sie kamen an den groÃen Aristoteles-Platz, wo in den Cafés wie immer reger Betrieb herrschte. Gäste genossen den nachmittäglichen Sonnenschein, sahen auf den glitzernden Golf und auf den Olymp in der Ferne, an deren Anblick sich nichts geändert hatte. Viele der Tische waren von deut schen Soldaten besetzt, und es gab sogar ein paar griechische Mädchen, die ihnen Gesellschaft leisteten und mit ihnen plauderten. Daneben gab es chic und wohlgenährt wirkende Griechen. Dimitri erkannte einige der reichen Freunde und Kunden seines Vaters darunter.
»Wir trennen uns jetzt lieber«, sagte Dimitri, wohl wissend, dass ihn keiner dieser Leute erkennen durfte. Mit ihren schwe ren Stiefeln und unrasierten Gesichtern fielen sein Freund und er unter der städtischen Bevölkerung ohnehin auf.
»Glaubst du wirklich, sie denken, wir sehen wie Widerstandskämpfer aus?«, fragte Elias scherzend.
»Wahrscheinlich schon.«
Als Einzelne wäre es leichter, in der Menge unterzutauchen, sich in einen Ladeneingang zu drücken oder sich unter die Gäste eines Kafenions zu mischen. Dimitri war gewarnt worden, dass sie keinem trauen durften. In den Städten hatten die Deutschen Kellner und Hausmeister und alle möglichen anderen Leute als Spitzel engagiert, die ihnen Untergrund- und Widerstandskämpfer melden sollten. Dimitri war bewusst, dass all diejenigen, die Spitzeldienste leisteten, Familien zu ernähren hatten, und sich mit dem Feind zu verbünden konnte bedeuten, dass man einen oder zwei Tage lang vom quälenden Gefühl eines leeren Magens oder vom endlosen Jammern eines hungernden Kindes erlöst war. Der Hunger hatte Thessaloniki zu einem gefährlichen Ort gemacht.
Die Gendarmen, die Militärpolizei, die schon in der Vergangenheit gefürchtet und verachtet worden war, wurden jetzt noch mehr von der Bevölkerung verabscheut, weil sie den Deutschen zuarbeiteten. Es blieb ihnen allerdings kaum eine andere Wahl. Wenn sie die Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht verweigerten, wurden sie gefoltert und hingerichtet. Einige von ihnen behielten ihre Posten und gingen das Risiko ein, Widerstandskämpfern zu helfen, aber es war schwer zu sagen, wer ein »guter« und wer ein »schlechter« Gendarm war. Am besten ging man ihnen aus dem Weg.
»Wir treffen uns in vierundzwanzig Stunden wieder«, sagte Dimitri. »Ich komme um sechs in die IrinistraÃe.« Er hoffte, dort vielleicht auch Katerina zu sehen.
Er sah auf seine Uhr. Ein Wunder, dass sie nach all den Monaten in
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