Eine Geschichte von Liebe und Feuer
fordern sie auf, sich auszuweisen«, fügte Katerina hinzu.
»Man kann sich falsche Papiere besorgen«, antwortete Isaac.
Eugenia meinte zu wissen, warum er gekommen war. Ein gefälschter Ausweis war teuer, und dafür würde er den Schmuck seiner Mutter brauchen. Er war in ein Kissen eingenäht, das oben auf ihrem Bett lag.
»Brauchst du Geld?«
»Nein, deshalb bin ich nicht gekommen.«
Beide Frauen blickten Isaac an. Er sah so schwach und hinfällig aus. Man konnte sich kaum vorstellen, dass er die Kraft aufgebracht hatte, den Gettozaun zu überwinden. Nackte Verzweiflung musste ihn angetrieben haben.
»Ich will wieder zurück. Sobald ich über den Zaun und auf der StraÃe war, wurde mir klar, dass ich zurück muss. Ich kann meine Eltern nicht allein nach Polen gehen lassen. Sie werden mich brauchen, um für sie zu sorgen.«
Katerina kannte Roza Moreno inzwischen sehr gut und konnte nachfühlen, welch groÃe Angst sie hatte.
»Ich kann mir vorstellen, welche Sorgen sich deine Mutter im Moment macht«, sagte sie. »Sie wird sehr erleichtert sein, wenn du zurückkommst.«
»Ich hoffe nur, dass sie dann nicht schon fort sind«, sagte er. »Viele steigen bereits in die Züge.«
»Wenn du in eine so kalte Gegend fährst, möchtest du dann nicht ein paar zusätzliche Decken oder Kleider mitnehmen? Deine Eltern haben eine ganze Menge im Haus zurückgelassen.«
»Deswegen bin ich eigentlich hergekommen«, sagte er.
Eugenia und Katerina begleiteten ihn in sein Elternhaus hinüber. Obwohl erst ein paar Tage vergangen waren, hatte man den Eindruck, es sei schon vor Jahren verlassen worden. Spinnweben hingen an der Decke, und alles roch feucht und modrig.
Isaac ging gleich zu der Truhe, in der seine Eltern Wäsche und Bettzeug zurückgelassen hatten.
»Ich bleibe heute Nacht hier«, sagte er. »Ich habe mir überlegt, dass es viel schwieriger ist, im Dunkeln zurückzugehen. Das geringste Geräusch, und sie schnappen einen. Tagsüber sind die Wachen viel abgelenkter, weil so viele Leute auf dem Gelände unterwegs sind.«
»Hier kannst du nicht schlafen«, sagte Eugenia besorgt. »Warum kommst du nicht mit und verbringst die Nacht in unserem Haus?«
Isaac hatte dagegen nichts einzuwenden, und kurz darauf waren sie wieder nebenan.
Eugenia bemerkte, wie Isaac auf den Topf starrte.
»Bitte«, sagte sie, »nimm dir nur. Iss alles auf, und dann legst du dich schlafen.«
Wie ein Mann, der an Befehle gewöhnt war, folgte Isaac ihrer Aufforderung und kletterte dann erschöpft die schmale Stiege hinauf.
Noch während sie Isaac zugesehen hatte, wie er Decken aus der Truhe nahm, war Katerina eine Idee gekommen, und sobald sie hörte, wie sich die Tür oben schloss, begann sie mit dem Zuschneiden. Eine der flauschigen Wolldecken würde einen idealen Mantel ergeben, und sie wusste sogar bereits, wie sie ihn einfassen und mit welcher Art von Knöpfen sie ihn versehen würde. Ihr blieben nur zwölf Stunden, und selbst mit Eugenias Hilfe müsste sie sich beeilen.
Als Isaac aufwachte, lagen an seinem FuÃende ein Mantel für seine Mutter, eine Jacke für Esther und eine warm gefütterte Weste für seinen Vater. Die Kleider waren nicht nur praktisch, sondern zugleich auch sehr schön â mit Quiltstoff gefüttert und die Kanten sorgfältig paspeliert. Zum ersten Mal seit Monaten fasste Isaac neuen Mut. Wie sehr würden seine Eltern und seine Tante sich freuen, wenn sie ihre eingestickten Namen im Futter und das Granatapfelmotiv auf den Kragen entdeckten. Am meisten hatten sie sich in den letzten Tagen wegen der Kälte gesorgt, die sie in ihrer neuen Unterkunft erwartete, und diese Sorge war jetzt behoben.
»Vielleicht schicke ich euch Aufträge aus Polen!«, sagte Isaac lächelnd. »Danke, vielen Dank â¦Â«
Eugenia wickelte die Kleider in braunes Packpapier, und mit dem Paket unter dem Arm machte sich Isaac auf den Weg zurück ins Getto.
Die beiden Frauen sahen ihm nach. Sie waren müde nach der langen Nacht. Katerina konnte sich schlafen legen, weil sie keine Arbeit mehr hatte, aber Eugenia musste in die Teppichfabrik.
Am Abend beschlossen sie, zum Bahnhof zu gehen. Vielleicht hätten sie Gelegenheit, sich von ihren Freunden zu verabschieden. Doch als sie dort ankamen, sahen sie sofort, wie aussichtslos es war. Die Deutschen lieÃen
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