Eine Geschichte von Liebe und Feuer
nahmen einen Umweg und gingen in Richtung des WeiÃen Turms. Ein Blick auf den Bogen des Galerius und die antike Rotunde zeigte, dass die historischen Monumente der Stadt unversehrt geblieben waren, als hätten sie den besonderen Respekt der Besatzer genossen. Weniger geschätzte Gebäude jedoch hatten schwer gelitten. Die kleinen StraÃen mit den verrammelten Läden, Häuserruinen und zerstörten Synagogen waren ein beredtes Beispiel dafür. In einzelnen Vierteln konnte man zwar immer noch die Spuren des groÃen Brandes von 1917 sehen, aber zu keiner Zeit hatten sich groÃe Teile der Stadt in einem so elenden und heruntergekommenen Zustand befunden. In manchen Gassen herrschte ein Gefühl geisterhafter Leere, und die Schritte der beiden Frauen hallten unheimlich wider.
In den noch bewohnten Gegenden hatten sich die Leute angewöhnt, im Haus zu bleiben, und die kühle Herbstluft lud jetzt auch nicht dazu ein, wie früher die Stühle vor die Schwelle zu stellen.
Sie setzten ihren Marsch fort und entdeckten das eine oder andere Kafenion, wo Männer tranken und tavli spielten, genau wie in den Tagen vor dem Krieg, und solche Zeichen von Normalität machten ihnen Mut.
SchlieÃlich erreichten sie die StraÃe, die Katerina so vertraut war: die FilipposstraÃe, wo das Atelier der Morenos gewesen war.
Eugenia spürte, dass sich Katerina fester an sie klammerte. Die Bretter vor Türen und Fenstern waren abgenommen und die Schmierereien und grob aufgemalten Davidsterne von den Wänden geschrubbt worden. Männer trugen Kisten und Gerätschaften in das Atelier, und es klang, als herrschte geschäftiges Treiben im Innern.
Katerina fiel auch noch etwas anderes auf. Es hing kein Schild mehr über dem Eingang, und die Tür war neu gestrichen worden. An die Stelle des Smaragdgrüns, das Saul Moreno immer bevorzugt hatte â passend zum Lieferwagen, auf den er so stolz war â, war ein tiefes Ochsenblutrot getreten.
Sie blieben stehen und sahen eine Weile zu.
»Es hat einen neuen Besitzer«, sagte Katerina mit einem Anflug von Trauer.
Es war ein so unerträglicher Anblick, dass sie schweigend und deprimiert in die IrinistraÃe zurückhasteten.
Am folgenden Tag versammelte sich die gesamte Einwoh nerschaft der Stadt auf dem Aristoteles-Platz, um offiziell die Befreiung von den Deutschen zu feiern. Die Cafés, in denen ganze vier Sommer lang feindliche Soldaten in der Sonne gesessen hatten, gehörten nun wieder den Griechen.
Eines hatten die Einwohner der Stadt während der Besatzung aber nicht verloren: ihre Widerstandskraft. Ihre prachtvolle, vielfältige und historisch so reiche Stadt hatte im Lauf der vergangenen Jahrzehnte viel Zerstörung hinnehmen müssen, und wieder einmal standen sie vor der Herausforderung, sie noch schöner wieder aufzubauen als zuvor.
Einen Monat vor dem Abzug der Deutschen war ein Abkommen zwischen den verschiedenen Fraktionen der Rechten und der Linken unterzeichnet worden. Im sogenannten Caserta-Abkommen einigten sich die Führer der Widerstandsbewegungen darauf, nach der Befreiung auf Alleingänge oder einen Staatsstreich zu verzichten. Eine Regierung der Nationalen Einheit wurde gebildet, und vertragsgemäà gab es keinerlei Versuche der Kommunisten, die Macht an sich zu reiÃen.
Der Führer der rechtsgerichteten Armee, der EDES , flog sogar nach London, um den Briten zu versichern, dass er mit den Kommunisten und der neuen Regierung zusammenarbeiten wolle, um die demokratische Entwicklung des Landes zu sichern. Alles sah nach einem friedlichen Ãbergang aus.
Eines späten Nachmittags ging Katerina zum Haus der Komninos, um einen Mantel abzuliefern, den sie für Pavlina repariert hatte. In der Diele traf sie Olga Komninou.
»Ich habe leider nichts von ihm gehört«, sagte Olga ungefragt. »Es ist offenbar schwierig für ihn, eine Nachricht zu schicken.«
Es war erst ein paar Wochen her, dass sie zusammen am Küchentisch gesessen hatten, und seitdem war Dimitri Katerina nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
»Ich bin sicher, er kommt bald zurück«, erwiderte sie und versuchte, ihre eigenen Sorgen zu verbergen.
»Vielleicht hätte es zwischen ihm und meinem Mann eine Art Waffenstillstand gegeben, wenn er nach dem Abzug der Deutschen nach Hause gekommen wäre«, erwiderte Olga wehmütig, »aber ich denke, sein Vater begreift jetzt, wie ernst es ihm
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