Eine Geschichte von Liebe und Feuer
meine damaligen Feinde.«
Er klang vollkommen desillusioniert.
»Bleibst du heute Nacht bei uns?«, fragte Eugenia, als sie den Kaffee einschenkte. »Katerina und ich können uns ein Bett teilen.«
Elias starrte mit leerem Blick in seine Tasse und nickte schweigend.
»Ich muss jetzt los«, sagte Katerina. Fast wäre sie noch damit herausgeplatzt, wohin sie ging, aber dann hatte sie doch der Mut verlassen, und sie schlich ganz krank vor Schuldgefühlen aus dem Haus.
Ein paar Tage lang blieb Elias bei ihnen, aÃ, schlief und saà schweigend und in sich gekehrt am Ofen. Er hatte kein Bedürfnis, die Geborgenheit des Hauses zu verlassen. Wäh rend dieser langen Stunden festigte sich sein Entschluss, nach Polen zu fahren. Er musste seine Familie finden. Alles, was er brauchte, waren neue Kraft und Geld, und Eugenia sorgte für beides. Mehrmals am Tag stellte sie ihm Essen auf den Tisch und übergab ihm die beiden Goldbroschen, die ihr Roza anvertraut hatte. Elias konnte sie verkaufen, um die Reise zu finanzieren.
Nach fünf Tagen verlieà er zum ersten Mal das Haus. Beklommen machte er sich auf den Weg ins Zentrum und vermied es, an verlassenen jüdischen Vierteln oder am ehemaligen Atelier seiner Eltern vorbeizukommen.
Katerina hatte ihm gestanden, dass sie für den »neuen Besitzer« arbeite, worauf er erwiderte, dass er dafür Verständnis habe und akzeptiere, dass das Leben weitergehen müsse. Vielleicht, so redete er sich ein, könnte er das sogar irgendwann glauben, wenn er es nur oft genug aussprach. Er versuchte, keinen Groll in sich aufkommen zu lassen, wenn er daran dachte, was seine Eltern verloren hatten. Weder sein Vater noch seine Mutter neigten zu Verbitterung, und vielleicht bauten sie sich in Polen bereits eine neue Existenz auf, statt über die Ungerechtigkeit ihres Verlusts nachzugrübeln. Sie wären viel zu rührig, um die Hände in den Schoà zu legen.
Pavlina hatte ein paar von Dimitris alten Anzügen aus der NikistraÃe herausgeschmuggelt, die von Katerina geändert worden waren. Und Elias sah darin ganz respektabel aus.
Während er so dahinspazierte, fühlte er sich plötzlich beinahe unbeschwert. Er war einigermaÃen sicher, dass er keinen alten Bekannten treffen würde, und es machte ihm groÃen SpaÃ, einfach in der Menge unterzutauchen. Es war lange her, dass er eine StraÃe entlanggegangen war, ohne sich ängstlich umblicken zu müssen.
Bei einem der Pfandleiher, die gerade Hochkonjunktur hatten, stellte er sich geduldig an, bevor er die Broschen ge gen eine erbärmliche Summe eintauschte, die nur ein Zehntel ihres tatsächlichen Werts betrug. Aber es hatte keinen Sinn aufzubegehren. Der Pfandleiher wusste, wie dringend er Geld brauchte, und hätte sein Angebot vielleicht sogar noch reduziert, wenn er zu feilschen versuchte. Pfandleihen wurden oft auch als Umschlagplatz für gestohlene Waren genutzt, sodass sich die Kunden ganz generell mit lächerlich niedrigen Beträgen zufriedengeben mussten.
Dann erkundigte sich Elias nach Zugverbindungen in Richtung Polen, und auf dem Rückweg in die IrinistraÃe erinnerte er sich, dass er sich ganz in der Nähe des Kafenions befand, das er früher zusammen mit Dimitri so oft besucht hatte. Das beruhigende Klimpern der Münzen in seiner Hosentasche ermutigte ihn, auf ein Glas Bier einzukehren.
Er genoss die Geräusche des alltäglichen Lebens, die er vor langer Zeit einmal für selbstverständlich gehalten hatte: das Zischen des Dampfes, den Geruch einer Zigarette, das Ploppen eines Korkens, der aus einer Cognacflasche gezogen wurde, Gesprächsfetzen, das Scharren eines Stuhls auf dem Pflasterboden. Er schloss die Augen, und die kurze Erinnerung an ein fast vergessenes früheres Leben gab ihm Hoffnung für die Zukunft.
Vielleicht war heute sein letzter Tag in Thessaloniki, denn morgen würde er sich in ein neues Leben aufmachen. Er trank ein kühles Bier. Es war das beste, das er je zu sich genommen hatte.
Elias hatte nicht bemerkt, dass ein Mann an seinem Tisch Platz nahm. Das Kafenion war sehr voll.
»Jude?«, fragte der uniformierte Fremde.
Seit seiner Kindheit hatte er den latenten Antisemitismus in der Stadt nicht vergessen, und der Tonfall des Mannes erinnerte ihn an den Hass, der immer unter dem Anstrich von Zivilisiertheit lauerte. Doch jetzt würde er seine Herkunft nicht verleugnen. Morgen
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