Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Schreckensgeschichten über das Schicksal ihrer Leidensgenossen zurückkehrten, machten alle die gleiche Erfahrung: Die Stadt nahm sie nicht mit offenen Armen auf. Genau wie Elias mussten sie bei ihrer Rückkehr feststellen, dass ihnen ihre Häuser und Geschäfte nicht mehr gehörten und dass für sie â gleichgültig, ob sie im Widerstand gekämpft hatten oder zu den wenigen Ãberlebenden der Vernichtungslager zählten â kein Platz mehr in Thessaloniki war.
Katerina und Eugenia gingen weiter ihrer Arbeit nach und schlichen am Abend geräuschlos durchs Haus, als könnten sie damit ihre Existenz verleugnen. Elias schlief immer, wenn sie zurückkamen, und das Essen, das sie am Morgen für ihn hingestellt hatten, war verzehrt, die Teller waren abgespült und in den Schrank geräumt.
Wochenlang wechselte er kein Wort mit seinen Gastgeberinnen. Er wusste nun, dass einige Juden während der Besat zungszeit von Christen versteckt worden waren. Daher fühlte er sich nicht nur von der Welt betrogen, sondern vor allem von den Nachbarn im Stich gelassen, die seiner Familie keinen Unterschlupf gewährt hatten.
Eugenia und Katerina waren überzeugt, dass er so dachte, und hofften, ihm irgendwann die wahren Umstände erklären zu können. Eines Abends hatten sie Gelegenheit dazu, als er bei ihrer Rückkehr, offensichtlich auf sie wartend, am Tisch saÃ. Er war frisch rasiert, und neben ihm stand eine Reisetasche.
»Ich wollte mich verabschieden«, sagte er. »Ich gehe fort heute Abend.«
»Es tut mir leid, dass du uns verlässt, Elias«, sagte Eugenia.
»Du weiÃt, dass du bei uns bleiben kannst, solange du willst«, fügte Katerina hinzu.
»Mich hält hier nichts mehr, Katerina«, erwiderte er. »Nur Erinnerungen, und selbst die angenehmen sind schal geworden.« Sein Tonfall klang vorwurfsvoll.
»Egal, was du auch denkst«, sagte Katerina flehentlich, »deine Familie ist freiwillig gegangen. Wenn sie uns um Hilfe gebeten hätte, hätten wir alles für sie getan. Das schwöre ich.«
»Der Rabbi hat es ihnen eingeredet, Elias. Keiner von uns hatte die leiseste Ahnung, was passieren würde«, sagte Eugenia weinend.
»Wo willst du denn hin?«, fragte Katerina leise.
»Ein paar von uns gehen gemeinsam fort. Wir planen das schon seit geraumer Zeit. Wir gehen nach Palästina.«
»Willst du dich denn dort niederlassen?«, fragte Eugenia.
»Ja. Wir haben nicht die Absicht zurückzukommen.« Die Verbitterung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Hör zu«, sagte Eugenia, »wenn du fortgehst, dann gibt es ein paar Dinge, die du mitnehmen solltest. Deine Eltern haben ein paar Wertsachen bei uns zurückgelassen. Sie gehörten der Synagoge.«
Sie stand auf. »Katerina, holst du den Quilt?«
Während Katerina nach oben ging, nahm Eugenia die Stickbilder von der Wand. Mit einem Messer schnitt sie die Rückseite auf, um den bestickten Stoff herauszunehmen. Neugierig geworden, beugte sich Elias vor.
»Hier ist ein Fragment der Thorarolle, und hier sind einige alte Schriften«, sagte sie.
»Und da ist der Quilt«, sagte Katerina und hielt das bestickte Meisterwerk hoch.
Elias war vollkommen sprachlos angesichts seiner Schönheit. Eugenia nahm eine Schere und wollte die Nähte auftrennen.
»Tu das nicht!«, rief Elias. »Es ist ein Kunstwerk!«
»Aber darunter ist doch der Parochet â¦Â«
»Warum soll ich ihn nicht so mitnehmen, wie er ist?«, fragte er. »Dann ist er doch sicherer!«
»Elias hat recht, Eugenia. Legen wir ihn wieder zusammen. Dann kann er ihn auf der Reise sogar als Kopfkissen benutzen!«
»Und da ist auch noch der Gebetsschal.«
»Den sollte ich besser hierlassen. Er ist einfach zu empfindlich. Vielleicht komme ich eines Tages zu Besuch und hole ihn. Ich muss jetzt los. Das Schiff läuft um zehn Uhr abends aus, und wir wollten uns um neun treffen. Ich will nicht zu spät kommen.«
Er trat einen Schritt zurück, als wollte er ihre Umarmung vermeiden, und nahm seine Tasche und den aufgerollten Quilt.
»Danke«, sagte er, »für alles.«
Er wandte sich ab und ging zur Tür.
Die beiden Frauen hielten sich aneinander fest. Erst als Elias das Haus verlassen hatte, wagten sie, ihrem Kummer über den Verlust der Familie Moreno freien Lauf zu lassen.
Von Roza, Saul, Isaac und
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