Eine Geschichte von Liebe und Feuer
würde er Thessaloniki verlassen, und dies war hoffentlich das letzte Mal, dass er mit solch offenkundiger Abneigung konfrontiert wäre.
»Ja, ich bin Jude«, antwortete er trotzig.
»Oh, das tut mir leid. Dann wissen Sie ja vermutlich über alles Bescheid?«
Elias erkannte, dass er den Tonfall des Mannes missdeutet hatte, der nun viel freundlicher klang.
»Worüber soll ich Bescheid wissen?«
Der Militärpolizist kratzte sich verlegen am Kopf und wurde plötzlich unsicher. »Dann wissen Sie es also nicht.«
Verwirrt, aber neugierig zuckte Elias die Achseln.
Der Mann beugte sich verschwörerisch vor. »Keine Ahnung, wie Sie es geschafft haben zu überleben«, sagte er, »Tausenden anderen ist das nicht gelungen.«
»Wovon reden Sie?«
Elias spürte, wie langsam Panik in ihm aufstieg. Sein Magen krampfte sich zusammen, und er meinte, die Luft würde ihm abgeschnürt.
Der Gendarm sah ihn alarmiert an und merkte, dass es nun an ihm war, mit der ganzen Wahrheit herauszurücken.
»Ich kann nicht glauben, dass Sie gar nichts wissen«, begann er stockend. »Aber gestern Abend war dieser Typ hier â und heute stand es sogar in der Zeitung.«
Elias rührte sich nicht und starrte den Mann an, der einen Schluck Bier trank, bevor er fortfuhr.
»Sie wurden alle vergast. Man hat sie auf Züge verladen und bei ihrer Ankunft vergast.«
Es war unmöglich für Elias, die Worte des Mannes zu begreifen. Sie schienen einfach keinen Sinn zu ergeben.
»Was meinen Sie damit? Was soll das heiÃen?«
»Genau das hat er gesagt. Der Typ, der geflohen ist. Er sagte, sie haben sie vergast und dann verbrannt. In Polen.«
Der Gendarm sah den jungen Mann voller Mitgefühl an, diesen schmächtigen jungen Juden, der plötzlich wie in Trance hin und her zu schaukeln begann, immer hin und her, den Kopf in den Händen geborgen.
»Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause«, sagte er schlieÃlich.
Elias begriff nichts. Er wusste weder wer noch wo er war, und am allerwenigsten, wo sein Zuhause sein sollte. Sein ganzer Körper fühlte sich taub an.
»Lassen Sie mich Sie nach Hause bringen«, drängte der Mann.
Wieder dieses Wort. Zuhause. Was bedeutete es? Wie würde er es je wieder finden?
Er versuchte aufzustehen, aber seine Beine schienen ihm nicht mehr zu gehorchen.
»Hören Sie«, sagte der Mann. »Ich helfe Ihnen nach drauÃen. Sie brauchen frische Luft.«
Sobald er drauÃen war, wurde Eliasâ Kopf klarer. Er sah das Meer und wusste, dass er oben am Hügel wohnte.
»Ich glaube, es geht in diese Richtung«, sagte er und stützte sich schwer auf seinen Begleiter. Beim Gehen las er die StraÃenschilder und hoffte, dass irgendetwas einen Erinnerungsimpuls auslöste.
EgnatiastraÃe, SofoklesstraÃe, IoulianosstraÃe.
»Irini«, sagte er wie im Traum. »Frieden. Das ist der Name. IrinistraÃe. FriedensstraÃe.«
»Die kenne ich«, sagte der Mann. »Ich bringe Sie hin. Nicht, dass Sie sich noch verlaufen.«
Als sie in die IrinistraÃe kamen, fragte der Mann, in welchem Haus er wohne.
»In dem dort«, murmelte Elias und deutete auf die Nummer 7 . »Aber ich gehe in das hier.«
Da er das Gefühl hatte, dass seine Aufgabe noch nicht erledigt war, wartete der Gendarm geduldig, während Elias an Eugenias Tür klopfte.
Eugenia und Katerina öffneten. Sie hatten inzwischen selbst die schrecklichen Neuigkeiten über das Schicksal der Juden erfahren und warteten ängstlich auf Eliasâ Rückkehr. Die Nachrichten hatten sich in Windeseile verbreitet, und selbst wenn sie sich nur auf den Bericht einer einzigen Person stützten, so zweifelte doch niemand an ihrem Wahrheitsgehalt.
Blass und beinahe starr vor Mitleid begrüÃten sie ihn. Es war mehr, als er ertragen konnte, und er drängte sich fast grob an ihnen vorbei.
Eugenia wollte dem Mann danken, aber als sie ihm nachrief, hatte er sich schon abgewandt. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er eine Gendarmenuniform trug. Wie seltsam, dachte sie. Noch vor ein paar Monaten hätte ihn derselbe Mann, der sich jetzt um ihn gekümmert hatte, festgenommen.
Im Lauf der nächsten Wochen trafen immer mehr Nach richten aus Polen ein und bestätigten, dass Hunderttausende von Juden getötet worden waren. Doch die Handvoll Ãberlebender, die mit eintätowierten Nummern und
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