Eine Geschichte von Liebe und Feuer
war er fort. Olga stand in der Tür und beobachtete, wie sich die elegant gekleidete Gestalt schnell die kopfsteingepflasterte StraÃe hinunter entfernte. Konstantinosâ dunkler, gut geschnittener Anzug und sein Filzhut hoben sich von der Kleidung der anderen Bewohner der IrinistraÃe stark ab. Am meisten jedoch fiel auf, dass sein Gang schon in Laufschritt übergegangen war. Er konnte gar nicht schnell genug wegkommen.
Die folgenden Monate gingen entspannt und fröhlich dahin in der IrinistraÃe. Die Temperaturen waren gefallen, also verbrachte man wieder mehr Zeit im Innern des Hauses. Roza Moreno kam fünfmal am Tag und blieb nach dem Stillen am späten Nachmittag oft noch eine Stunde, wenn sie ihre Jungen mitgebracht hatte.
An anderen Tagen gingen Olga und Pavlina nach nebenan zu den Morenos, und Kyria Ekrem mit ihren Töchtern gesellte sich dazu. Im Licht der flackernden Kerze wurden Geschichten erzählt. Es gab immer ein schönes Stück tishpishti zum Kaffee, den Honig- und Walnusskuchen, den Roza nach einem traditionellen Rezept zubereitete, und mit Elias auf dem Schoà erzählte sie die Geschichte, wie ihre Vorfahren vor mehr als vierhundert Jahren in Griechenland angekommen waren.
»Zwanzigtausend von uns wurden aus Spanien rausgewor fen«, sagte sie mit mildem Zorn, »aber als wir in Thessaloniki eintrafen, war der Sultan begeistert. âºWie dumm müssen die katholischen Könige sein, Juden rauszuwerfen. Es macht das Osmanische Reich nur noch reicher, sie hier zu haben, und Spanien ärmer!â¹, rief er.«
Gelegentlich warf sie einen Satz auf Ladino ein, den sie dann übersetzte. Wie sehr sie es liebte zu erzählen.
»Wir haben in Thessaloniki das Goldene Zeitalter wieder erschaffen, das wir einst in Spanien hatten, und wir lebten glücklich zusammen mit unseren verschiedenen Religionen. Es gab sogar das gleiche Klima und die gleichen Früchte â Granatäpfel!«, sagte sie lächelnd.
Sauls Mutter, die bei ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter lebte, sprach kein Wort Griechisch und verständigte sich ausschlieÃlich auf Ladino. Immer saà sie in ihrer sephardischen Tracht â einer mit Perlen bestickten Bluse, einem langen Rock, einem dicken, mit Pelz eingefassten Satinmantel und einem ebenfalls mit Perlen bestickten Kopftuch â in der Ecke. Manchmal erzählte sie eine Volkssage, die von ihrer Schwiegertochter ins Griechische übersetzt wurde.
Die Ekrem-Töchter waren fasziniert von den Geschichten über diese ferne Stadt namens Granada, in der es früher so viele Moscheen und ein Kastell mit Türmen gegeben hatte, dessen Wände mit arabischer Schrift beschrieben waren. Während sie den süÃen Walnusskuchen aÃen, sahen sie einen märchenhaften Ort von unvorstellbarer Schönheit und Exotik vor sich, den sie eines Tages vielleicht gemeinsam besuchen würden. Ihre Mutter las ihnen oft aus den Bänden von Tausendundeiner Nacht vor, und in dem dämmrigen Licht stellten sie sich die Vorleserin als Scheherazade vor, die ihre fesselnden Geschichten von Schicksal und Vorsehung erzählte. Sie las immer einen Satz auf Türkisch, den ihre älteste Tochter dann ins Griechische übersetzte.
Wenn sie in dem kleinen Wohnraum zusammensaÃen, waren sie immer von einer Mischung verschiedenster Gerüche umgeben: den Kräutern und Gewürzen fürs Kochen, dem Weihrauch der Kirche, dem betäubenden Aroma einer Wasserpfeife, dem Duft von Kerzenwachs und süÃem Back werk und dem Gestank einer schmutzigen Babywindel. Wenn Saul hereinkam, gesellte sich noch SchweiÃgeruch hinzu. Er arbeitete schwer, um mit den ständig zunehmenden Bestellungen von Armeeuniformen nachzukommen.
Dimitri gewöhnte sich daran, von Hand zu Hand weitergereicht und auf den unterschiedlichsten Knien geschaukelt zu werden, eine Vielfalt von Akzenten zu hören und in verschiedene Gesichter zu blicken. In seinen ersten Lebensmonaten sah er nur Lächeln, das er strahlend erwiderte.
»Mitsi Mitsi Mitsi mou! Mitsi Mitsi Mitsi mou!« , sangen die anderen Kinder, die Koseform seines Namens benutzend, wenn sie Guckguck mit ihm spielten.
Während dieser Monate überwachte Konstantinos den Wideraufbau seines Lagerhauses. Er setzte seine gelegentlichen Besuche in der IrinistraÃe zwar fort, aber es gelang ihm nie, seine Abscheu zu verbergen.
Als Leonidas auf Urlaub in seine Heimatstadt zurückkam,
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